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TODESSAAT

TODESSAAT

Titel: TODESSAAT Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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Und ausgerechnet der Chef des Dezernats war sein Freund. Wie könnte er ihn verletzen? Und wie sollte er das dem Parasiten in seinem Innern klar machen?
    Um zwei Uhr nachmittags saß Harry in seinem Arbeitszimmer und ›lauschte‹. Doch seine Vampirsinne waren noch nicht weit genug entwickelt, und so vernahm er nichts. Oder vielleicht doch? War da nicht eine flüchtige Bewegung am Rand seines mentalen Gesichtsfeldes? Das erregte sein Misstrauen wieder so sehr, dass er sein Experiment erneut verschob, den Hut aufsetzte und nach draußen ging, um sich mit seiner Mutter zu unterhalten.
    Harry saß auf der bröckeligen Uferböschung, ließ die Beine baumeln und blickte hinab in die kleinen Wasserwirbel, unter denen seit langem Mary Keoghs Grab lag. Seine Gedanken tasteten nach ihr und spürten ihre Präsenz. Da er allein war und niemand ihn beobachten konnte, sprach er laut mit ihr, denn das kam ihm natürlicher vor. »Mutter, ich stecke total in der Klemme.«
    Hätte sie geantwortet: ›Was ist daran neu?‹, wäre das verständlich genug gewesen, denn er steckte immer irgendwie in der Klemme. Aber Mary Keogh liebte ihren Sohn mit aller Kraft einer Mutter, und auch der Tod hatte das nicht geändert.
    Harry? Ihre Stimme klang sehr schwach und weit entfernt, als sei ihre sterbliche Hülle vom Wasser den Fluss hinabgetragen worden. Ach, Harry, ich weiß, es ist schlimm, mein Sohn!
    Das war zu erwarten gewesen. Er hatte nie etwas vor seiner Mutter verbergen können, und sie hatte ihn oft genug gewarnt, dass es Dinge gebe, denen man besser nicht nahe kam. Diesmal war er einem solchen Ding zu nahe gekommen. »Weißt du denn, was ich damit meine?«
    Da gibt es nur eins, mein Junge. Wärst du nicht von allein zu mir gekommen, hätte ich es dennoch gewusst. Wir alle wissen Bescheid, Harry.
    Er nickte. »Sie sprechen kaum noch mit mir«, beklagte er sich mit bitterem Unterton. »Dabei habe ich keinem von ihnen jemals etwas getan.«
    Darauf versuchte sie ihm geduldig zu erklären: Aber du solltest wenigstens versuchen, sie zu verstehen, Harry! Die meisten von ihnen lebten vor relativ kurzer Zeit noch, und nun sind sie tot. Sie erinnern sich noch gut an das Leben, und sie wissen, was der Tod bedeutet, aber sie wollen nichts mit dem zu tun haben, was irgendwie dazwischen liegt. Sie verstehen es nicht, wenn man die Lebenden zu Untoten machen will, denen man das wahre Leben raubt und ihnen dafür seelenlose Gier verleiht! Die Kinder und Enkel der Toten leben noch auf dieser Welt, genau wie du. Und das bereitet den Toten Kopfzerbrechen. Es spielt keine Rolle, wie lange Menschen tot sind, Harry: Sie machen sich immer noch Sorgen um ihre Kinder und Kindeskinder! Das weißt du doch aus eigener Erfahrung, mein Sohn, oder?
    Harry seufzte. Ihre Totenstimme, so schwach sie auch klang, war immer noch voller Wärme. Sie umgab den Necroscopen wie eine Decke, beschützte ihn, machte das Denken und Planen und sogar das Träumen einfacher. Für den Albtraum in seinem Innern war das so fremd und unverständlich, dass er sich nicht einzumischen vermochte. Und ihn selbst beruhigte diese Mutterliebe mehr als alles Andere auf der Welt.
    »Das Schwierige ist«, sagte er nach einer kleinen Pause, »dass ich unbedingt noch etwas tun muss, bevor ich hier ... fertig bin. Und es ist wichtig, Mutter! Wichtig für mich, aber auch für dich und die unzähligen Toten. Ein Ungeheuer treibt hier sein Unwesen, und ich muss es dingfest machen!«
    Ein Ungeheuer, Sohn? Ihre Stimme klang sanft, aber Harry wusste genau, was sie ihm sagen wollte. Wer war er, von einem Ungeheuer zu sprechen?
    »Mutter, ich habe nichts Böses getan«, erwiderte er. »Und solange ich noch ich selbst bin, werde ich auch nichts Böses tun!«
    Harry, sagte sie, mein Sohn, ich fühle mich so ausgelaugt! Sie klang wirklich nicht nur fern und schwach, sondern ausgesprochen müde. Auch wir sind nicht unerschöpflich. Wenn man uns alleine lässt, denken wir nur vor uns hin und irgendwann, unmerklich, verblassen und verschwinden wir. Wie lange es auch dauern mag und wie stark man auch ist – am Ende verblassen wir und sind weg. Falls äußere Einflüsse sich negativ auswirken, kann das sogar recht schnell gehen. Du, mein Sohn, warst für uns alle ein Licht in der Dunkelheit. Es war, als könnten wir wieder sehen. Doch nun müssen wir dich gehen lassen und die Dunkelheit wieder ertragen. Als wir noch am Leben waren, fragten wir uns: Gibt es etwas auf der anderen Seite? Nun, es gab wirklich etwas,

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