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Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Titel: Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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Gedanken über die Flugpassagiere, wer sich wohl in der Maschine befand und ob die Leute womöglich etwas ähnlich Schreckliches erlebten wie Ægir auf der Yacht. Wohl kaum. Er ließ die Hand sinken und wandte seinen Blick vom Himmelsgewölbe ab.
    »Papa!«
    Bylgja zupfte immer wieder am Ärmel seines Pullovers. Ægir wusste nicht, wie lange sie das schon machte, aber angesichts ihrer Ungeduld wohl schon eine ganze Weile. Er schaute sie an, und seine trockenen Augen brannten bei der Bewegung. Noch nie in seinem ganzen Leben war er körperlich und seelisch so erschöpft gewesen.
    »Papa, du hast Blut an den Lippen!«
    Ægir leckte sich über die aufgerissenen Lippen und spürte einen starken Eisengeschmack. Er hatte lange nichts mehr getrunken, kein Wunder, dass er so trockene Lippen hatte. Aber das lag nicht an fehlenden Getränken, im Gegenteil, er hatte einen Vorrat an Softdrinks und Wasser mit in die Kabine genommen, als er mit den Mädchen nach unten gegangen und hinter ihnen abgeschlossen hatte. Er war einfach nicht durstig oder hungrig. Für solche Bedürfnisse blieb kein Platz, wenn sich das Herz in einem bis zum Anschlag angezogenen Schraubstock befand. Und dann auch noch diese Müdigkeit. Wie lange war er eigentlich schon wach? Er wusste es nicht. Es spielte keine Rolle. Wenn die Mädchen nicht gewesen wären, hätte er sich von Bord fallen lassen und wäre eins geworden mit dem Meer. Doch wegen ihnen konnte er sich das nicht erlauben. Er musste wach bleiben. Er musste dafür sorgen, dass sie heil nach Hause kamen. Und er würde wach bleiben. Deshalb standen sie an Deck und badeten sich in den letzten Sonnenstrahlen des Tages.
    Bei der abgestandenen Luft in der Kabine war Ægir so schläfrig geworden, dass er kurz an Deck frische Luft schnappen wollte. Er sog die Meeresluft tief ein und schloss die Augen. Nebel kroch in seinen Kopf, und es war, als würde ein Vorhang zugezogen vor all die schrecklichen, drängenden Gedanken, die ihn nicht in Ruhe ließen.
    »Papa, Papa, du darfst nicht schlafen.«
    Ægir konnte nicht sagen, ob es Bylgjas oder Arnas Stimme war.
    »Papa!«
    Er zuckte zusammen und riss die Augen auf. Die frische Luft hätte genau den gegenteiligen Einfluss haben sollen: ihn wach zu machen und zu erfrischen.
    »Ich bin wach«, sagte er.
    So ging das nicht. Er musste einen Weg finden, um sich gegen den verführerischen Schlaf zu wappnen. Wenn er Halli oder Þráinn trauen könnte, hätte er nachgeschaut, ob es im Medikamentenschrank etwas Aufputschendes für Notfälle gab. So wie jetzt. Doch das waren nur seine wirren Gedanken – wenn er einem der beiden trauen könnte, müsste er die Mädchen nicht bewachen, und sie könnten abwechselnd schlafen.
    »Gehen wir rein, das reicht«, sagte er.
    »Müssen wir wieder runter?«, fragte Arna mit einer unbeschreiblichen Furcht im Gesicht. »Und was ist, wenn das Schiff sinkt?«
    »Es sinkt nicht.« Ægir war zu müde, um sanft oder verständnisvoll zu sein. Es tat ihm unendlich leid, denn er wusste, dass sie ihn als Vater und nicht nur als Leibwächter brauchten. Aber er konnte nicht beide Aufgaben erfüllen. Eher traute er sich zu, ewig wach zu bleiben, als seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen.
    »Gehen wir. Wir können uns einen Film anschauen.«
    »Wir haben schon alle Filme gesehen, die nicht verboten sind«, sagte Bylgja mit einem Schluchzen in der Kehle, und Ægir wusste, dass ihre Verzweiflung nichts mit der begrenzten Filmauswahl zu tun hatte. Aber es war noch nicht an der Zeit, mit den Mädchen über den Verlust ihrer Mutter zu sprechen, er musste eine gute Gelegenheit abpassen, die richtigen Worte wählen und sie zu Sätzen zusammenfügen, die ihre Trauer lindern konnten. Noch überstieg das seine Kräfte. Er hatte ihnen erklärt, dass ihre Mutter an dem Schuss gestorben sei und dass sie ganz tapfer sein müssten. Er hatte ihnen klargemacht, dass sie ausharren mussten, bis sie an Land wären, und dann würden sie gemeinsam die Trauer und die Zukunft meistern, ohne Mama. Mehr konnte er im Moment nicht tun. Tränen waren über die zierlichen Wangen der Mädchen geströmt, aber dennoch hatten sie unglaubliche Haltung bewiesen, mehr, als in ihrem Alter eigentlich möglich war. Zweifellos spürten sie, wie viel auf dem Spiel stand.
    »Ich will keine verbotenen Filme sehen«, sagte Bylgja und unterdrückte einen Schluchzer.
    »Dann gucken wir eben noch mal die schönsten Filme, die wir dabei haben.«
    Ægir schaute sich um und hatte plötzlich

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