Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Titel: Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
Vom Netzwerk:
sich und löste den Riegel an der Tür. Dann öffnete er sie langsam, ohne ein Wort zu sagen, und steckte den Kopf durch die Öffnung. Er rechnete mit allem.
    Doch diese Sicherheitsvorkehrung entpuppte sich als unnötig. Im Wohnzimmer war kein Mensch, und das Sofa war leer. Lára war verschwunden, mitsamt der Decke, auf der sie gelegen hatte.
    »Wo ist Mama?«, flüsterte Bylgja, doch in der Stille klang es wie ein Kreischen.
    »Ich weiß es nicht, mein Schatz. Wir finden sie.«
    Ægirs Augen brannten, und als er sie rieb, merkte er, dass sie vom langen Wachsein geschwollen waren. Seine harten Bartstoppeln kratzten, als er sich mit der Hand übers Gesicht strich. Er sah also genauso aus, wie er sich fühlte. Ohne die Mädchen anzuschauen, nahm er die Malbücher und Stifte vom Couchtisch und gab sie ihnen.
    »Gehen wir.«
    Im Wohnzimmer hing ein merkwürdiger, abartiger Geruch, und er wollte verhindern, dass er sich in seiner Nase festsetzte, denn er musste irgendwie mit Láras Tod zusammenhängen. Ægir wollte sich an ihren Geruch als lebendiger Mensch erinnern.
    Sie schlichen nicht mehr so wie vorher, denn Ægir wäre den Männern jetzt gerne begegnet. Es widersprach seinen ursprünglichen Plänen, doch der Gedanke an Láras kalten, einsamen Leib raubte ihm das letzte bisschen Verstand, das er noch hatte. Aber was sollte er machen, wenn er erfuhr, wo sie war? Er wusste es nicht, wusste nur, dass er sie nicht in Þráinns und Hallis Gewalt lassen würde.
    Als sie auf die Brücke zugingen, gab Ægir den Mädchen ein Zeichen, stehen zu bleiben. Dann trat er an die Tür und lauschte. Alles war still, vielleicht war die Tür so gut isoliert, vielleicht befand sich auch niemand im Raum. Er richtete sich wieder auf und bedeutete den Mädchen, die wie angewurzelt dastanden und sich an ihren Malbüchern festklammerten, zu ihm zu kommen. Dann schob er sie wie eben hinter sich.
    Auf der Brücke saßen Halli und Þráinn einander gegenüber und starrten sich schweigend in die Augen.
    »Wo ist Lára?«
    Die Männer unterbrachen ihren Augenkontakt, und Ægir erschrak, als er Þráinns Gesicht sah. Mit den weißen Bartstoppeln sah er aus wie um Jahrzehnte gealtert, und um die blutunterlaufenen Augen mit den dunklen Ringen hätte ihn jeder Zombie beneidet. Halli sah auch nicht viel besser aus. Sein gefärbtes Haar klebte an seinem Kopf, und sein Gesicht war aufgedunsen.
    »Was?«, krächzte Halli. Seine heisere Stimme ließ darauf schließen, dass er lange nicht mehr gesprochen hatte.
    »Wo ist Lára? Wo ist die Pistole?«
    »Findest du es schlau, sie an dich zu nehmen? Sie hat schon genug Schaden angerichtet«, sagte Þráinn mit Reibeisenstimme. Es waren keine Gläser zu sehen, und die Männer hatten wahrscheinlich eine Ewigkeit mit trockenen Kehlen dagesessen. Keiner traute dem anderen genug, um ihn aufstehen und Wasser holen zu lassen.
    »Mach dir darüber mal keine Gedanken. Für schlaue Sprüche ist es jetzt zu spät. Es ist deine Schuld, dass Lára die Pistole hatte«, entgegnete Ægir.
    Der Kapitän reagierte nicht auf seinen Vorwurf.
    »Aber wenn du es wissen willst, ich werfe die Pistole ins Meer. Ich will sie nicht haben, und ich will auch nicht, dass ihr sie habt.«
    Als Ægir das gesagt hatte, merkte er, dass es ein Fehler gewesen war. Er hätte die Männer besser in dem Glauben gelassen, er trage die Waffe bei sich. Vor Müdigkeit konnte er nicht mehr logisch denken, konnte im Grunde keinen einzigen Gedanken fassen und wusste nicht, wie er seine Worte auf überzeugende Weise zurücknehmen sollte.
    »Sie ist in der obersten Schublade.« Þráinn zeigte auf den Tisch mit den Messinstrumenten und Steuergeräten vor der Frontscheibe. »Von mir aus kannst du sie über Bord werfen.«
    »Warum?«, rief Halli. Er wollte aufstehen und zu der Schublade gehen, war aber so steif, dass er nicht richtig vom Stuhl hochkam. »Ich sage euch, hier ist noch jemand an Bord. Und dann ist es ein Vorteil, eine Waffe zu haben. Seid ihr völlig wahnsinnig?«
    Ægir ging zu der Schublade und zog sie auf. Er ging nicht auf Halli ein, und Þráinn machte auch keine Anstalten, etwas zu sagen. Ganz oben in der Schublade lag ein Gegenstand, der in ein Küchenhandtuch eingewickelt war. Während Ægir es aufschlug, sagte Halli:
    »Und was ist mit der Polizei? Die wollen die Pistole bestimmt haben, wenn wir an Land sind.«
    Seine Stimme wurde bei jedem Wort schriller.
    »Falls wir jemals an Land kommen«, sagte Þráinn. Er hustete und strich sich

Weitere Kostenlose Bücher