Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
machen. Dann suchten sie im Internet eine arabische Bezeichnung heraus und benannten das Gericht danach. Das befreundete Pärchen war selig und überaus angetan vom Al-Jazeera-Hühnchen. Dóras größte Angst war, dass sie zu gut gewesen wären und beim nächsten Weihnachtsfest einen weiteren Kochkurs geschenkt bekämen.
Der Kurs hatte an der Haushaltsführung also wenig geändert, und dasselbe galt für die Anzahl der Kochbücher und -zeitschriften, die sich über die Jahre hinweg bei ihnen angesammelt hatten. Dóra war einfach eine schlechte Köchin und interessierte sich nicht fürs Kochen. Deshalb hatten die anderen Familienmitglieder – bis auf ihren Enkel Orri – sich dieser Aufgabe angenommen. Leider entpuppten sich deren Versuche auch nicht als erfolgreicher als Dóras Geköchel. Am talentiertesten war Sóley, aber der Kleinen fehlte es noch an Ausdauer für richtige Mahlzeiten. Sie backte am liebsten Muffins, und obwohl die Kochkultur in der Familie alles andere als vorbildlich war, waren sie noch nicht so tief gesunken, die zum Abendessen zu essen. Zudem sah die Küche aus wie nach einem Bombeneinschlag, wenn Sóley gekocht hatte. Dóras Sohn Gylfi und seine Freundin Sigga waren in dem Alter, in dem sie bald ausziehen würden, weshalb sie eigentlich das größte Interesse am Kochen hätten aufbringen sollen, was aber nicht der Fall war. Für sie etwas zuzubereiten, war am schwierigsten. Entweder waren sie gerade Vegetarier, aßen nur Rohkost oder beides, und niemand versuchte mehr, sich daran zu erinnern, welche Überzeugung gerade aktuell war. Die beiden vergaßen es sogar selbst. An diesem Abend waren sie zusammen mit Orri bei Siggas Eltern zum Essen, so dass es eigentlich kein Problem gewesen wäre, etwas auf den Tisch zu zaubern. Aber der Kühlschrank war leer.
»Was haltet ihr von chinesisch?«, fragte Dóra und machte den Kühlschrank zu. »Entweder wir bestellen was, oder es gibt Nudelsuppe.«
»Bestellen.« Matthias begann, das Besteck wieder von den Tellern zu räumen, das er gerade hingelegt hatte. Sie waren inzwischen ziemlich geschickt mit Stäbchen. »Ich kann keine Nudelsuppe mehr sehen. Jedenfalls nicht mehr in diesem Jahr.«
»Ich könnte auch was backen«, schlug Sóley vor und schaute von ihren Hausaufgaben auf, die sie am Abend unbedingt noch fertigmachen musste. Sie sollte in Sozialkunde etwas über die Arbeitszweige Indiens schreiben, aber auf ihrem Blatt waren bisher nur Zeichnungen von Elefanten, Tigern und Schlangen, die nur am Rande etwas mit dem Thema zu tun hatten.
»Nein, nein, das ist nicht nötig«, antwortete Matthias hastig, bereute es aber sofort, denn Sóley wirkte verletzt. »Ich meine nur, du musst ja noch deine Hausaufgaben machen, und die sind wichtiger als das Abendessen. Du kannst doch am Wochenende was backen, wenn du dann noch Lust dazu hast. Lakritzspitzen vielleicht?«
Er wusste, dass sie darauf am stolzesten war, was jedoch in keinem Zusammenhang mit dem Gelingen stand.
»Oder willst du vielleicht eine kleine Pause machen und mit mir das Essen holen?«
Sóley legte ihren Aufsatz über die Gesellschaftsstruktur Indiens mit tierkundlichem Einschlag sofort beiseite. Dóra freute sich jedes Mal darüber, wie prima sich die beiden verstanden. Gylfi und Matthias kamen zwar auch gut miteinander aus, standen sich aber nicht besonders nahe. Wenn ihre Kinder Matthias abgelehnt hätten, wäre das das Ende ihrer Beziehung gewesen. Dass Sóley, Gylfi und Orri glücklich waren, stand für Dóra an erster Stelle. So war es nun mal, und bisher hatte niemand einen Grund gehabt, sich zu beklagen, am allerwenigsten Matthias, der diese Reihenfolge voll und ganz akzeptierte. Natürlich versuchte Dóra trotzdem, darauf zu achten, dass sich ihr Leben nicht nur um die jüngere Generation drehte, und es gelang ihnen ganz gut, Zeit füreinander zu finden. Das war allerdings etwas schwieriger geworden, seit ihr Ex-Mann jeden zweiten Monat in Norwegen arbeitete, aber sie hatte volles Verständnis dafür, denn nach der Scheidung hatte er ein neues Leben anfangen müssen und sich durch einen Hauskauf mitten in der Immobilienkrise in Schulden gestürzt. Durch die Arbeit im Ausland konnte er diesen Schuldenberg langsam abbauen. Die Kinder verbrachten zwar nur noch halb so viele Wochenenden bei ihrem Vater, aber dafür waren Dóras Eltern ausgezogen. Ihre finanzielle Lage hatte sich gebessert, nachdem sie ihr ohnehin selten genutztes Haus in Spanien endlich verkauft hatten. Mit
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