Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
Dóras Mutter verschwand jedoch die Köchin, die die Familie so dringend brauchte.
Als Sóley und Matthias gegangen waren, holte Dóra die Unterlagen über den Yachtfall heraus, die sie mit nach Hause genommen hatte. Das unbekannte Schicksal der Leute an Bord weckte in ihr das tiefe Bedürfnis, der Sache auf den Grund zu gehen, auch wenn das schwierig war. Die Yacht selbst hatte ebenfalls einen intensiven Eindruck hinterlassen. Dóra war eigentlich ziemlich rational, aber es fiel ihr trotzdem schwer, das Bild von den blassen Beinen hinter dem Bett aus dem Kopf zu kriegen. Wobei sie keineswegs glaubte, dass es eine übernatürliche Vision gewesen war, sondern dass ihr Gehirn dieses Bild produziert hatte. Die Leute waren verschwunden, aber überall an Bord gab es Hinweise auf ihre Existenz, und Dóra hatte einfach die Lücken aufgefüllt.
Bevor sich Fannar auf der Hafenmole von ihnen verabschiedet hatte, hatte er ihr versichert, sein Chef werde alles tun, was in seiner Macht stehe, um bei der Lösung des Falls zu helfen. Er fühle sich ein bisschen verantwortlich für das, was passiert sei, weil er Ægir auf diese tragische Fahrt geschickt habe. Daraufhin hatte Dóra Fannar gebeten, nachzuschauen, ob er noch irgendwelche Unterlagen hätte – neben dem Bericht, den der Auflösungsausschuss nach dem Unfall über den Zustand der Yacht angefertigt und Dóra bereits ausgehändigt hatte. Fannar hatte versprochen, es zu überprüfen, aber sie hatte eigentlich nicht damit gerechnet, noch mal von ihm zu hören. Doch kaum saß sie auf ihrem Stuhl in der Kanzlei im Skólavörðustígur, klingelte ihr Handy, und Fannar teilte ihr mit, man würde etwas für sie zusammenstellen. Auf dem Nachhauseweg hatte sie dann in seinem Büro den Umschlag abgeholt.
Der Papierstapel, den sie aus dem Umschlag zog, war nicht besonders dick. Zuoberst lagen ein paar Blätter mit Listen von Personen, die früher einmal als Besatzung auf der Yacht gearbeitet hatten. Die Yacht war in Monaco registriert gewesen, bis die Bank sie in Portugal übergenommen hatte. Die Namen waren international, kaum französische. An einem, der besonders markiert war, blieb Dóra hängen: Halldor Þorsteinsson. Mit diesem Mann musste sie unbedingt sprechen.
Dieser Halldór war allerdings nur drei Monate an Bord gewesen, was im Vergleich zu den anderen auf der Liste recht kurz war, aber er musste sich dennoch gut auskennen. Vielleicht hatte er im Streit aufgehört oder war entlassen worden, was ungünstig wäre, weil er dann womöglich einen Groll gegen den Voreigentümer oder andere Mannschaftsmitglieder hegte und nicht objektiv wäre. Aber er konnte sie bestimmt genau über die Sicherheitsvorkehrungen und andere Dinge an Bord aufklären, die sie für die Vorlage bei der Versicherung brauchte. Jegliche Lücken in ihrem Bericht würden die Sache nur verzögern – Versicherungsleute verfolgten immer die Taktik, jeden Brief mit einer Frage zu einem bestimmten Detail zu beantworten, und wenn die geklärt war, die nächste Frage zu stellen, und so weiter. Auf diese Weise konnte die Versicherung die Sache um Monate verzögern.
Nach der Besatzungsliste folgte die Registrierungsurkunde der Yacht, die bestätigte, was Dóra bereits wusste: Karítas und ihr Mann waren nicht die ersten Besitzer und hatten das Schiff auf den Namen Lady K getauft. Dóra fand den Namen immer noch ziemlich albern und konnte sich nicht daran gewöhnen. Sie blätterte weiter im Mannschaftsregister und sah, dass Halldór zu der Zeit, als das Boot im Besitz von Karítas und ihrem Mann gewesen war, darauf gearbeitet hatte.
Als Nächstes fiel ihr eine Liste über die Inneneinrichtung der Yacht ins Auge. Das Dokument trug den Briefkopf einer ausländischen Firma, die sich auf den Verkauf von Schiffen spezialisiert hatte, und auf einer Vielzahl von Seiten waren sämtliche Gegenstände und deren Wert aufgelistet. Die Liste war vor ungefähr vier Jahren erstellt worden, so dass sie nicht unbedingt die heutige Einrichtung der Yacht widerspiegeln musste. Dóras Augen wurden immer größer. Sie hätte nie gedacht, dass ganz normale Dinge so teuer sein konnten. Ein Sofa, das mehr kostete als ihr Auto. Küchenmesser, die teurer waren als ihre gesamte Kücheneinrichtung, inklusive Tisch und Stühle. Auf der Liste waren auch Geräte und Ausrüstungen für die Seefahrt aufgeführt, wie zum Beispiel Aqua-Scooter, Tauchanzüge und Angelzubehör. Die Aqua-Scooter hatte sie auf der Yacht in einem Abstellraum gesehen,
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