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Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Titel: Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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Meer, in der Hoffnung, das würde helfen. Aber er konnte die Bewegungen des Wassers nicht voraussehen und sich nicht auf das nächste Schlingern vorbereiten – dafür verhielten sich die Wellen viel zu unvorhersehbar. Im einen Moment sah es so aus, als würde der Wind sich plötzlich legen und die Wasseroberfläche sich glätten, und im nächsten Moment war es, wie auf einem Flaschenkorken dahinzutreiben.
    Ægir überlegte, wie tief das Meer an dieser Stelle war, kam aber auf keine befriedigende Antwort. Sie hatten den Festlandsockel längst hinter sich gelassen, so dass es hier womöglich ein paar Kilometer bis zum Meeresgrund waren. Oder? Wieder wurde ihm sein begrenztes Interesse an der Natur bewusst. Er hatte das bestimmt schon mal gelernt, war aber völlig ratlos – vielleicht waren es an der tiefsten Stelle auch nur ein paar hundert Meter? Er hatte keinen blassen Schimmer. Vielleicht hatte das ja nie zum Schulstoff gehört. Was spielte es auch für eine Rolle, wie weit es mitten auf dem Meer bis zum Grund war? Wenn man unterging, dann war man eh verloren, ob man nun in hundert oder tausend Metern Tiefe endete.
    Solche Überlegungen heiterten nicht gerade die Stimmung auf, und Ægir verdrängte sie. Es war sinnlos, sich diesen Gedanken hinzugeben, und er wusste aus Erfahrung, dass Sorgen, die tief im Inneren vor sich hinköcheln durften, ziemlich gefährlich werden konnten. Wie damals, als er sich zum Tauchen überreden ließ. Er hatte mit ein paar Freunden von der Uni einen Strandurlaub gemacht, lange bevor er Lára kennengelernt hatte. An dem Tag, bevor es richtig losgehen sollte, absolvierten sie einen kleinen Kurs im Schwimmbad, und in der Nacht konnte Ægir nicht schlafen. Seine Freunde schnarchten einfach vor sich hin, ungerührt von der drohenden Gefahr, für die sie auch noch einen Haufen Geld bezahlen mussten. Unzählige Möglichkeiten, wie man beim Tauchen ums Leben kommen konnte, gingen Ægir durch den Kopf, während er sich im Bett herumwälzte, und als er endlich einschlief, war er kurz davor, einen Rückzieher zu machen. Doch am nächsten Morgen wollte er sich vor seinen Kumpels keine Blöße geben und machte die Tour mit.
    Letztendlich stellte er sich gar nicht so dumm an, vielleicht weil er sich bereits damit abgefunden hatte, sein Leben in dem hellgrünen Wasser auszuhauchen. Er war von dem Tauchlehrer sogar besonders gelobt worden, weil er beim Tauchen so ruhig und entspannt war. Nur ein einziges Mal befiel ihn Panik. Sie waren auf dem Grund angelangt, und er sah durch die Taucherbrille die fremde Umgebung und die Lebewesen um sich herum und dachte, dass er dort nicht begraben sein wollte. Doch als er sich wieder auf sein Mundstück konzentrierte und tief und regelmäßig atmete, konnte er die Panik überwinden. Erst auf dem Weg nach oben, als er das Licht und den Himmel sah, hatte er das unkontrollierbare Verlangen, durch die Nase zu atmen. Er musste sofort wieder nach unten schauen und sich gedulden, bis er an der Oberfläche war. Dann erlitt er noch einen kleinen Schock, als der Lehrer mit ihnen zu der Stelle schwamm, an der der Festlandsockel steil abfiel und er die unwirkliche Dunkelheit und den klaffenden Abgrund vor sich sah. Ægir bekam eine Gänsehaut. Warum musste er ausgerechnet jetzt daran denken?
    »Lasst uns reingehen.« Lára zog an ihm. »Wenn ich weiter tief einatme, werden meine Lungen ganz salzig.«
    »Ich will rein, Papa.« Bylgja schaute ihn flehend an. »Ich will nicht länger hierbleiben.«
    Ægir versuchte, vor seiner Familie zu verbergen, wie sehr er Bylgjas Meinung teilte, am liebsten hätte er seine Töchter in den Arm genommen und sie ganz tief unten in der Yacht eingesperrt. Er wollte zwar selbst nicht auf dem Meeresgrund enden, aber die Angst, dass seine Töchter ein solches Schicksal erleiden könnten, war noch viel, viel größer.

    Ægir hielt es durchaus für möglich, dass die Tabletten wirkten. Sie hatten sie anscheinend doch noch früh genug genommen. Die Cola war inzwischen lauwarm, aber Ægir bestand darauf, dass jeder von ihnen eine Dose trank. Dann konnten sie im Notfall wenigstens etwas von sich geben.
    »Ist das das Bild, von dem ihr gesprochen habt?« Ægirs Kopf war erst jetzt klar genug, dass er sich umschauen konnte. Er zeigte auf den protzigen goldenen Rahmen um das Gemälde einer jungen Frau, die Karítas sein musste. Der Rahmen bildete einen Gegensatz zu dem albernen Bild und hätte besser zu einem Gemälde aus Rembrandts Zeiten

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