Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
der das denkt.«
»Ach ja?«, rutschte es Ægir heraus. Dieses Gespräch trug nicht gerade dazu bei, dass sich die Mädchen wohler fühlten. Sie saßen stocksteif da und saugten jedes Wort in sich auf, anstatt zu essen.
»Andere aus der Mannschaft haben mir Geschichten erzählt, die über die Yacht kursieren. Die waren alle gleich. Echt gruselig, auch wenn ich nicht besonders abergläubisch bin. Und die Jungs meinten das definitiv ernst!«
Halli verstummte plötzlich und konzentrierte sich darauf, die letzte Kartoffel in den Mund zu schieben.
»Danke für das Essen.«
Dann stand er auf und verließ die Küche.
Ægir ging auf die Kommandobrücke und wunderte sich, dass es dort ganz anders aussah, als er sich das vorgestellt hatte. Der Raum erinnerte eher an das Büro einer Radiowerkstatt als an ein Steuerhaus: reihenweise Computerbildschirme und alle möglichen Geräte, von denen jedes seine Funktion hatte. Das Einzige, was zu Ægirs ursprünglicher Vorstellung passte, war ein prachtvolles Holzsteuerrad vor den Fenstern der Brücke, aber Þráinn hatte ihm am ersten Tag erklärt, dass es nicht benutzt würde und nur für den Notfall da wäre, falls die automatische, elektronische Steuerung versagte. Üblicherweise steuerte man die Yacht mit einem Steuerhebel, der noch unauffälliger aussah als bei einer Spielekonsole. Neben den Instrumenten für die Navigation verfügte die Yacht über umfangreiche Telekommunikationsgeräte, und obwohl Ægir sich kaum zutraute, Þráinns Erklärungen wiederzugeben, erinnerte er sich vage daran, welche Aufgabe jedes Gerät hatte. Dennoch hoffte er, dass es nicht dazu käme, dass er irgendeines davon benutzen müsste. Dann bestand nämlich die Gefahr, dass die Yacht endlos im Kreis fuhr.
»Ist es nicht schwierig, diese ganzen Bildschirme und Messgeräte zu kontrollieren?«, fragte er und stellte das kalte Bier auf den Tisch in der Raummitte. Die Tischplatte war mit einer steifen Decke bezogen und hatte einen hohen Rand aus Chrom, damit bei starkem Seegang nichts herunterrutschte. Auf dem Tisch lag eine Karte, und Ægir achtete darauf, die feuchte Flasche so hinzustellen, dass sie nicht an das Papier kam. Er hatte bei seinem Segelkurs ähnliche Dokumente voller Linien und Zahlen gesehen. Im Seminarraum hatte er sie noch verstanden, aber jetzt schienen sie ihm nur wenig mit dem Meer zu tun zu haben, das sie darstellen sollten.
»Ich habe dir ein Bier mitgebracht. Dachte, das wäre in Ordnung, wenn Þráinn dich gleich ablöst.«
»Danke.« Loftur reckte sich nach der Flasche und schien zu überlegen, ob er sich dem Passagier gegenüber weiterhin so mürrisch verhalten sollte wie bisher. »Mir reicht’s auch gerade. Irgendwas stimmt nicht mit dem Funkgerät, und ich kriege es nicht repariert. Das macht mich echt wahnsinnig.«
Er trank einen Schluck.
»Was ist denn damit?«
»Irgendwelche Scheißstörungen und merkwürdige Funkrufe.« Er nickte in Richtung eines Instruments, das aussah wie ein Kreditkartengerät. Daraus hing ein weißer Streifen Papier wie eine Zunge. »Da ist eine NAVTEX-Meldung gekommen. Nicht weit von uns ist ein Container von einem Frachtschiff gefallen, damit muss es zusammenhängen.«
»Was ist dieses NAVTEX?«, fragte Ægir. Er ging zu dem Gerät und las den kurzen englischen Text mit allerhand Ziffern und Buchstaben auf dem heraushängenden Blatt.
»Das empfängt Seemeldungen, Sturmwarnungen, Eisberichte und andere Warnungen. Zum Beispiel über schwimmende Container wie jetzt.«
»Sind wir denn in Gefahr?«, fragte Ægir beiläufig, da er nicht davon ausging, dass es so wäre. Dafür war Loftur viel zu ruhig und hätte bestimmt Þráinn geholt, wenn es sich um eine wirkliche Gefahr handeln würde. Ægir trank einen Schluck von seinem kalten Bier.
»Nein, davon gehe ich nicht aus.« Loftur beobachtete konzentriert das Radar. »Sind deine Töchter und deine Frau ins Bett gegangen?«
»Ja, Lára noch nicht, aber die Mädchen schlafen schon fast. Lára ist unten und liest ihnen etwas vor, damit sie nicht wieder Albträume bekommen wie letzte Nacht. Obwohl wir fast den ganzen Tag rumgehangen haben, könnte ich auch schon wieder schlafen gehen. Diese Seeluft macht einen irgendwie so müde.« Ægir wechselte die eiskalte Bierflasche von einer Hand in die andere. »Hast du Familie?«
Loftur schaute Ægir missbilligend an. Vielleicht wollte er mit Fremden nicht über sein Privatleben sprechen, oder Ægir hatte unbeabsichtigt einen wunden Punkt getroffen.
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