Todesschrei
wie Pugsly Addams.«
Er sah ihr nach, wie sie mit geschmeidigen Bewegungen davonging. Er kannte sie seit Monaten, hatte sie aber nie wirklich angesehen. Er hatte niemals wahrgenommen, welche Anziehungskraft von ihr ausging, bis er sie eben gesehen hatte - als eins achtzig große, blonde Walküre, die eine Streitaxt über den Kopf schwang und deren grüne Augen blitzten. Sie hatte die Kinder und ihre Lehrer über eine Stunde lang in ihrem Bann gehalten.
Und mich ebenfalls. Vergiss die Models auf der Website.
Er hatte seine neue Königin gefunden. Van Zandt würde ausrasten. Und Dr. Sophie Johannsen nicht länger einen unverknüpften Faden darstellen. Es war wirklich erhebend, wenn man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte.
Mittwoch, 17. Januar, 11.30 Uhr
Barbara Mulrine, Bibliothekarin und Claires ehemalige Chefin, schob einen Umschlag über die Theke. »Das ist das Original des Kündigungsschreibens, das wir von Claire Reynolds bekommen haben.«
Marcy Wiggs nickte. Sie war ungefähr in Claires Alter und verkraftete die Nachricht von Claires Tod weniger gut als ihre Chefin, die etwas über fünfzig Jahre alt sein musste. »Wir mussten es erst in unserer Zentrale anfordern, da sie bereits seit einem Jahr nicht mehr in unserer Kartei ist.« Marcys Lippen bebten. »Die Arme. Sie war so lieb. Und nicht einmal dreißig.«
Aus dem Augenwinkel sah Vito, wie Barbara die Augen verdrehte, und war augenblicklich weit mehr an der Ansicht der älteren Frau interessiert. Er öffnete den Umschlag und sah hinein. Der Brief war auf normalem Papier gedruckt worden, und er vermutete, dass sie in Bezug auf Fingerabdrücke nichts Wertvolles herausfinden würden. Dennoch stellte er die Frage. »Können Sie uns bitte eine Liste all derer geben, die diesen Brief in der Hand gehabt haben?«
»Ich werde es versuchen«, sagte Barbara, während Marcy seufzte.
»Es ist so schrecklich, dass das passieren musste. Und wir alle fühlen uns irgendwie verantwortlich. Wir hätte damals misstrauisch werden müssen, hätten anrufen sollen, aber ...«
Vito schob den Umschlag in seine Mappe. »Aber?« »Aber nichts«, sagte Barbara scharf. »Wir hätten nicht misstrauisch werden müssen, Marcy. Und Claire war nicht lieb. Das sagst du nur, weil sie tot ist.« Sie sah Vito verärgert an.
»Wenn jemand stirbt, spricht man plötzlich freundlicher von ihm. Und wenn ein behinderter Mensch stirbt, und das auch noch gewaltsam ... dann kann man ebenso gut gleich beim Papst eine Heiligsprechung beantragen.« Marcy presste die Lippen zusammen, sagte aber nichts. Vito sah von einer Frau zur anderen. »Claire war also kein besonders netter Mensch?«
Marcy blickte ihre Chefin aus dem Augenwinkel beleidigt an, und Barbara seufzte frustriert. »Nein, nicht besonders. Als wir ihre Kündigung erhielten, haben wir gefeiert.« »Barbara«, zischte Marcy.
»Aber es ist doch wahr. Er wird sowieso noch andere Leute befragen und es herausfinden.« Barbara sah ihn fast trotzig an.
»Und was hat sie so getan, dass Sie sie als nicht nett empfunden haben?«
»Nichts Besonderes. Sie war einfach so«, antwortete Barbara müde. »Wir haben uns bemüht, aber sie benahm sich oft richtig unhöflich. Ich arbeite schon seit gut zwanzig Jahren hier und habe Angestellte mit allen möglichen Behinderungen oder Problemen erlebt. Claire war nicht gemein, weil man ihr das Bein amputiert hat, sondern weil es ihr Spaß machte, gemein zu sein.« »Hatte sie mit Drogen oder Alkohol zu tun?« Barbara wirkte entsetzt. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Claire war extrem körperbewusst. Nein, es lag wohl eher an ihrer Einstellung. Sie kam spät und ging früh. Sie hat ihre Arbeit immer erledigt, aber nie mehr getan. Es war eben nur ein Job für sie.«
»Sie war Schriftstellerin«, setzte Marcy hinzu. »Sie schrieb an einem Roman.«
»Ja, sie hat ständig an dem Laptop gesessen«, stimmte Barbara zu. »In ihrem Buch ging es um eine Sportlerin, die an den Paralympics teilnahm. Es war wahrscheinlich halb autobiographisch.«
Marcy seufzte. »Nur dass ihre Hauptfigur wahrscheinlich sympathisch war. Barbara hat recht, Detective. Claire war wirklich nicht besonders nett. Vielleicht habe ich es mir einfach gewünscht.«
Vito runzelte die Stirn. »Sie haben von einem Laptop gesprochen.«
Die beiden Frauen sahen sich an. »Ja«, sagte Barbara. »Neu und ziemlich schick.«
Marcy biss sich auf die Lippe. »Sie hatte ihn nicht lange. Eines Tages schleppte sie ihn an. Ungefähr einen
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