Todessommer: Thriller (Rebekka Holm-Reihe) (German Edition)
gewesen, erinnerte sie sich. Der Tod des Vaters habe Sørens ohnehin schon schwächliche Verfassung noch weiter verschlechtert und ihn noch etwas merkwürdiger gemacht. Wie, konnte die Schwester nicht richtig erklären, nur dass der Bruder seine infantilen Seiten noch mehr ausgelebt habe, eine Zeit lang habe er Spielzeug aus den Sechzigern gesammelt und sei zu diesem Zweck zu Flohmärkten im ganzen Land gefahren. Später dann habe er Filme aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren zu seinem großen, alles überschattenden Hobby erklärt.
Die Essenz des Gesprächs beschäftigte Rebekka auch jetzt noch, als sie auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer saß. Sie trank Wein und spürte schon bald, wie sich die wohlbekannte Ruhe einstellte. Die Strahlen der Abendsonne fielen sanft auf die Holzböden ihrer Parterrewohnung, und sie betrachtete sie schläfrig, während die Staubkörner in der Luft tanzten.
—
»Søren, man hat uns erzählt, dass Sie kleine Mädchen mögen.«
Simonsen starrte ihn mit zusammengekniffenen Augen an, und Søren machte sich vor Angst auf seinem Stuhl ganz klein. Er schüttelte heftig den Kopf. Nichts sagen. Nichts sagen. Er hatte genug Verhöre im Film gesehen, um zu wissen, dass Schweigen in solchen Situationen Gold wert war. Sein Anwalt, ein magerer Mann mit einem rattenähnlichen Gesicht, hatte ihm das Gleiche geraten. Nichts sagen, nichts sagen. Søren kniff den Mund fest zusammen, schloss die Augen und dachte an die Mutter, die zu Hause lag. Allein. Er bekam Bauchschmerzen, wenn er an sie dachte, sie kam nicht sonderlich lange ohne ihn zurecht. Er öffnete ein Auge und musterte den Polizisten ihm gegenüber. Er war jung, sehr jung und sah ihn streng und wütend an.
»Meine Mutter …«, begann er.
»Ihre Mutter. Was ist mit ihr?«
»Sie ist krank.« Er wagte nicht mehr zu sagen aus Angst, zu viel zu sagen.
»Das wissen wir, Søren.«
»Sie kommt nicht alleine zurecht.«
Der Polizist lehnte sich über den Tisch, der zwischen ihnen stand. »Søren, wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich reinen Tisch machen. Es ausspucken. Dann können Sie nach Hause. Nach Hause zu Ihrer Mutter.«
Der Polizist war jetzt ganz nah, und Søren spürte den Drang nachzugeben, alles zu erzählen. Die Worte fuhren Karussell in seinem Kopf. Sein Körper war schwer und müde, er zitterte und sehnte sich nach seinem Bett, seiner Decke und seinem Kopfkissen. Er wollte einfach nur schlafen, und wenn er aufwachte, würde alles wieder normal sein, die täglichen festen Rituale mit Frühstück, Mittagessen und Abendbrot, die Besorgungen beim Kaufmann, die vielen Filme. Der Gedanke war beruhigend.
»Mein Klient ist müde. Lassen Sie ihn jetzt in Ruhe.« Der Anwalt sah Simonsen steif an, der schließlich resigniert nickte. Søren atmete erleichtert auf. Dann spürte er, wie der Polizist ihn erneut betrachtete.
»Erinnern Sie sich an meine Worte, Søren. Es wird Ihnen sehr viel besser gehen, wenn Sie ein Geständnis ablegen.«
Die Augen des Polizisten schnitten in ihn wie scharfe Messer, als er kurz darauf zu seiner Zelle geführt wurde.
—
Die Jalousien waren ganz zugezogen, trotzdem schlich sich die Herbstsonne zwischen den Lamellen hindurch und heizte Rebekkas und Rezas Büro auf, in dem sie gerade zusammen mit einer Sachbearbeiterin des Jugendamts ein Mädchen aus Søren Thomsens Nachbarschaft befragten. Sie hieß Karina Johansen, war acht Jahre alt und bestätigte, dass sie das Bild von Søren Thomsen und viele der anderen Bilder gemalt hatte, die an der Wand in Sørens Schlafzimmer hingen.
Die Presse hatte von dem Fund der Mädchenunterhöschen Wind bekommen, was zu einer wahren Flut von Anrufen besorgter Eltern aus dem Viertel geführt hatte. Obwohl keine Namen genannt werden durften, hatte die Boulevardpresse den Festgenommenen so detailliert beschrieben, dass diejenigen, die Søren Thomsen kannten, keine Zweifel hatten, um wen es sich handelte. Mehrere der Anrufe hatten sachdienliche Hinweise gebracht. Eine der Anruferinnen war Lone Johansen gewesen, Karinas Mutter. Die Familie wohnte im Nachbarhaus von Søren Thomsen, und Lone Johansen erzählte, dass ihre Tochter, genau wie ein paar andere Mädchen aus dem Viertel, den seltsamen Mann hin und wieder besucht hatte. Die Mutter hatte nie etwas gegen diese Besuche gehabt, denn sie hatte Søren für eine Art verkrüppeltes, Kontakt suchendes Kind gehalten, unschuldig und außerstande, jemandem etwas Böses zu tun. Als Lone Johansen begriffen hatte, dass es ihr
Weitere Kostenlose Bücher