Todesspirale: Roman (German Edition)
großen Häusern auf dem Hügel. Die Bewohner dieser riesigen, verzierten Häuser wurden als ziemlich dicke Fische in dem kleinen Teich, der Kells Crossing ausmachte, betrachtet.
Aber Ivan Petralahti kam dem, was einen Prominenten ausmachte, am nächsten.
Ivan Boris Petralahti war Osteuropäer, ein sehr bekannter und sehr respektierter in der Welt des internationalen Eiskunstlaufs. Natürlich immer noch ein Fremder genau genommen – zumindest nach der engstirnigen Auffassung von Kells Crossings ersten Familien – was die Gesellschaftslöwen aber nicht davon abhielt, ihn zu jedem gesellschaftlichen Anlass einzuladen, den der Hügel zu bieten hatte. Trotz angeborener Vorurteile überbot man sich förmlich darin, den anderen immer um eine Nasenlänge voraus zu sein.
Schließlich trainierte Petralahti Weltmeister und Olympiamedaillengewinner in diesem privaten Komplex am Stadtrand, der ihm gehörte und in dem ständig wichtige Leute ein und aus gingen, wie man wusste. Gastgeberinnen wetteiferten um das Privileg, ihn bei sich begrüßen zu dürfen. Wenn Petralahti bei einer Soiree auftauchte, wurde das als gesellschaftlicher Coup gewertet, besonders da er die vielen Einladungen, die er erhielt, ebenso häufig abzusagen wie anzunehmen pflegte. Ivan interessierte sich nur fürs Eislaufen und betrachtete die Sozialstrukturen in Kells Crossing als kleinkariert und provinziell.
Sasha Miller, das Kind eines Mühlenarbeiters, hätte nie erwartet, diesem Mann auch nur zu begegnen. Und in Wahrheit war sie viel zu jung, um sich darüber Gedanken zu machen. Sein Prominentenstatus sagte ihr nichts; alles, was sie von dem Mann wusste, war, dass er zurückgezogen lebte, einen komischen Akzent hatte und ihm eine private Eislaufbahn gehörte.
Letzteres war das Einzige, was sie interessierte.
Sasha liebte das Eislaufen. Sie lebte für die Winter, wenn erst Swensons Teich und dann der Fluss zufroren und sie ihre alten, geerbten Schlittschuhe anziehen konnte. Auf dieses Jahr freute sie sich besonders, weil sie das erste Mal nicht die Schlittschuhstiefel mit Mamas ältesten Nylonstrümpfen ausstopfen musste, damit sie ihr passten. Von dem Augenblick an, als sie von der Gelegenheit hörte, auf einer Kunsteisbahn zu laufen – etwas, was sie noch nie getan hatte – konnte sie nicht mehr ruhig schlafen.
Genau wie Weihnachten schien der große Tag nie zu kommen. Schließlich kam er natürlich doch, und Sasha war unter den Allerersten an der Methodisten Kirche in der Seventh Street, wo der Bus wartete, der sie zu Mr. Petralahtis Eisbahn fahren sollte. Sie stieg ein und musste quälend lange warten, bis der Rest der Kinder eintrudelte. Als der letzte Nachzügler endlich in den Bus stieg, hätte sie vor Ungeduld platzen können.
Zu aufgeregt, um sich mit irgendjemandem zu unterhalten, schwieg sie auf der kurzen Fahrt über den Fluss zu den Außenbezirken der Stadt und starrte aus dem Fenster, während sie im Stillen den klapprigen Bus anspornte, schneller zu fahren.
Die Eisbahn war alles, wovon sie geträumt hatte, und mehr. Das Eis war spiegelglatt, glatter als alle anderen Eisflächen, auf denen sie je Schlittschuh gelaufen war. Und sicher. Es war der reine Spaziergang, nicht ständig nach dünnem Eis Ausschau zu halten, nicht auf gefährliche Stellen zu achten, die man vermeiden musste. Freudig erregt flitzte sie immer wieder um die Bahn, fädelte sich ein und bei den vorsichtigeren Läufern wieder aus.
Ein Junge in der Mitte der Eisfläche fiel ihr sofort auf. Er probierte Figuren, die sie auch versucht hatte auf Swensons Teich letzten Winter, und war dabei ungefähr genauso geschickt wie sie. Als sie sah, wie er sich zum dritten Mal aufrappelte, lief sie zu ihm. Schweigend bemühten sich die beiden, ihre Schlittschuhe auf eine Weise synchron zu bewegen, die sie nicht benennen konnten, weil ihnen die Erfahrung fehlte. Als ihre Kufen nicht gehorchen wollten und sich stattdessen ineinander verhakten und sie entweder auf den Knien oder auf ihrem Allerwertesten landeten, grinsten sie, standen wieder auf und versuchten es erneut.
Es war der schönste Tag in Sashas Leben.
Und er ging viel zu schnell vorüber. Bevor sie sichs versah, war sie schon wieder zu Hause, pellte Kartoffeln für das Abendessen und schwärmte ununterbrochen von ihrem Tag auf dem Eis. Sie hatte bereits zwanzig Minuten ohne Pause geplappert, als es klingelte und ihr aufgeregter Monolog unterbrochen wurde.
»Ich gehe schon«, sagte ihre Mutter mit einem liebevollen
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