Todesstoß / Thriller
Augenblick wenigstens. Sie hatten also endlich Martha Brisbane gefunden, alias Opfer Nummer drei von sechs, alias Desiree. Nun zu Opfer Nummer vier. Er klappte den Laptop auf und loggte sich in sein neues Jagdgebiet ein. Es gab eine Menge über die sogenannte Anonymität von Shadowlands virtueller Welt zu sagen. Seine Opfer kamen zum Spielen und sagten und taten Dinge, von denen sie in der realen Welt niemals zu träumen wagten. Es war so leicht, ihr Vertrauen zu gewinnen, denn sie glaubten ja, niemand wüsste, wer sie in Wirklichkeit waren.
Aber er wusste es. Daher hatte er auch genau diese sechs aus den Millionen, die Shadowland bevölkerten, gewählt.
Er kannte ihre Namen, Adressen, Berufe, ihren Familienstand und – von allergrößtem Interesse – ihre schlimmsten Ängste. Er hatte jede Erfahrung auf das Opfer zugeschnitten, und obwohl er ihnen weder die Hände um den Hals gelegt noch sich selbst einen Höhepunkt verschafft hatte, war es ihm bei den ersten drei gelungen, ein intensiveres Entsetzen auszulösen, als seine Huren es je erlebt hatten.
In der Vergangenheit hatten die Angstphobien immer nur im Kopf seiner Opfer stattgefunden, eine Nebenwirkung des Ketamins, das er benutzte, um sie zu betäuben. Doch nicht mit diesen sechs. In der virtuellen Welt spielten sie bloß eine Rolle, aber er sorgte dafür, dass sie in der realen starben. Zu Tode verängstigt.
Die erste der sechs hatte sich vor engen Räumen gefürchtet. Nach nur wenigen Minuten in einer Kiste war Amy völlig hysterisch geworden. Ihr die Schnur um den Hals zu legen, während ihr Herz vor Panik gehämmert hatte, sie aber nicht fliehen konnte … Es hatte ihn enorme Disziplin gekostet, nicht die Kontrolle zu verlieren.
Wenigstens war es ihm später, als er allein zu Hause war, gelungen, die Erinnerung an ihr Entsetzen noch einmal heraufzubeschwören. Dennoch war sein Orgasmus nur ein schwacher Abklatsch dessen gewesen, was er hätte sein können, wenn Amys letzter Atemzug ihn live untermalt hätte.
Aber für das höhere Ziel muss man manchmal Opfer bringen.
Samantha, die zweite der sechs, hatte Angst davor gehabt, bei lebendigem Leib begraben zu werden. Einen Moment lang hatte er befürchtet, dass sie unter der zentimeterdicken Erdschicht, durch die er einen Schnorchel gesteckt hatte, ohnmächtig geworden war, denn sie zu töten hatte nur den gewünschten Effekt, wenn sie bei vollen Bewusstsein war. Aber zu seiner Erleichterung hatte sie gekämpft wie ein Tier, als er sie wieder ausgegraben hatte. Es war wunderbar gewesen. Martha … na ja. Sie hatte gar nicht so große Angst vor dem Wasser gehabt. Dafür hatte sie auf andere Art büßen müssen. Man hatte sich ja nur in ihrer Wohnung umsehen müssen, um festzustellen, dass sie zwanghaft Zeug ansammelte. Bis auf ihren Computer war nichts von Wert, aber der Verlust warf sie aus der Bahn und schürte in ihr nackte Panik. Also hatte er sie gezwungen, alles wegzuwerfen.
Und sie hatte ihre Katze geliebt. Seine Drohungen hatten für weiteres Entsetzen gesorgt.
Als er Martha endlich wieder ins Wasser gesteckt hatte, war ihre Furcht endlich so groß gewesen, wie er es sich gewünscht hatte. Am Ende hatte sie ihn angefleht, sterben zu dürfen.
Christy Lewis würde die Nummer vier von sechs sein. Er versprach sich sehr viel von Christy.
Oja.
Er lachte auf. Christys Phobie war besonders fein.
»Gwenivere, bist du online?« Na klar war sie das. Sie war immer online. Shadowlands Motto sagte alles:
Manchmal möchtest du an einem Ort sein, wo niemand deinen Namen kennt.
»Außer mir.«
Gwenivere tauchte jeden Abend im Ninth Circle auf, dem virtuellen Club. Hier war sie eine ehemalige Miss Universum, Pianistin, begeisterte Tänzerin und kluge Gesprächspartnerin.
Shadowland – das Land deiner Fantasie.
Gwenivere,
tippte er.
Ich habe dich schon vermisst.
Christys Gwenivere lächelte ihn an. Ihr Avatar hatte eins von Pandoras hübscheren Gesichtern. Auch er hatte seinem Avatar ein ansprechendes Gesicht und eine Bodybuilder-Figur gegönnt. Pandoras
Façades Face Emporium
war recht gut ausgestattet und weitaus billiger als andere Avatar-Designer.
Schließlich musste man so gut wie möglich aussehen, wenn man narzisstische Fantasy-Süchtige jagte. Aber man musste auch ein wenig Kleingeld bereithalten. Zum Beispiel für die Rechnung im Ninth Circle. Oder den Pokertisch im Casino Royale.
Lange nicht gesehen,
tippte Christy.
Wo warst du?
In der Warteschleife. Bis jemand Martha Brisbane gefunden
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