Todesstoß / Thriller
bestätigten, dass er vorhin gelogen hatte. »Und, nein, ich habe ihm nicht gesagt, dass du nicht da warst.«
Jack stieß den Atem aus. »Ich bin dir was schuldig.«
Noah sah Jack in die Augen und hielt seinen Blick fest. »Lass es mich nicht bereuen, Jack. Bitte.«
Jack wandte sich ab. »Ich melde mich, wenn ich die Mutter aufgetrieben habe.«
Sonntag, 21. Februar, 20.45 Uhr
Die Menge jubelte vor dem größten der Flachbildschirme in Sal’s Bar. Es lief ein College-Basketballspiel, und der Star des Heimteams, Tom Hunter, hatte den Ball. Mehr brauchte man wohl nicht zu sagen.
Eve sah zu, wie ihr langjähriger Kumpel über das Spielfeld raste und den Ball elegant durch den Ring beförderte. Jubel brandete auf, und Eve wippte auf die Fersen zurück.
»Ja!«, flüsterte sie und fuhr zusammen, als ihr kaltes Bier über den Arm lief. Hastig riss sie den überfließenden Krug unter dem Zapfhahn hervor und schüttelte den Ärmel aus.
Pass doch auf.
Zum Umziehen war keine Zeit, sie musste den Ärmel trocknen lassen.
Der Ersatzbarkeeper, der ursprünglich für Callie hätte einspringen sollen, war nicht aufgetaucht. Die Schlange an der Theke war endlos, aber bisher hatte sich wenigstens noch niemand beschwert. Solange ihr Team gewann, würde sich das wohl auch nicht ändern, und solange das Team die Bälle Tom Hunter zuspielte, stand der Sieg außer Frage.
»Dein Kumpel hat echtes Talent«, sagte Sal hinter ihr.
Eve fuhr zusammen. Für einen Mann mit einem behinderten Bein konnte Sal sich erstaunlich gut anschleichen. Allerdings war es in der Bar derart laut, dass sie sich nicht einmal selbst denken hören konnte. Und heute Abend gefiel ihr das so.
»Ich weiß«, sagte sie. Dass Tom Talent hatte, war ihr schon aufgefallen, als sie ihn in dem schäbigen Chicagoer Viertel das erste Mal hatte spielen sehen. Sie war vierzehn gewesen, Tom zehn, aber beide hatten notgedrungen schnell erwachsen werden müssen. Beide waren Ausreißer gewesen, aber jeder mit einem anderen Hintergrund.
Sie waren Freunde geworden und hatten Unterschlupf in einem Schutzhaus gefunden, wo sie unter der Fittiche von drei großartigen Frauen aufgewachsen waren. Diese Frauen waren bis heute Eves Familie, aber was sie mit Tom verband, ging tiefer.
Tom war einer der wenigen Menschen, der wusste, was Eve in ihren Alpträumen plagte, denn dasselbe Ungeheuer ging auch in seinem Kopf um. Sie beide trugen die Narben der Wunden, die sein biologischer Vater, Rob Winters, ihnen zufügt hatte. Doch sie hatten es überstanden. Und sich neu erfunden.
Tom war der Grund, warum sie hier in Minneapolis war. Als er das Basketballstipendium für eine der Topschulen des Landes bekommen hatte, hatte er sie überredet, mit ihm zu gehen und aus dem Dunkeln zu treten und neu zu beginnen.
Und das hatte sie. Nun war Tom auf dem besten Weg, eine lebende Basketball-Legende zu werden, wie sein Adoptiv-Vater Max Hunter.
Und ich bin endlich aus dem Schatten ins Licht hinausgetreten.
»Bei Tom sieht es immer so leicht aus«, sagte sie. »Dabei dürften sich Füße von dieser Größe eigentlich gar nicht so schnell bewegen können.«
»Ich rede nicht von dem Spiel«, sagte Sal. »Ich meine den kleinen Vortrag, den er Josies Kindern gehalten hat.«
Eve sah verwirrt zu ihm auf. Sals Frau Josie arbeitete auf einer Highschool in einem sozialen Brennpunkt von Minneapolis als Beratungslehrerin. »Wann denn?«
»Letzte Woche. Er hat wohl vor, an alle Highschools zu gehen, um den Kids ans Herz zu legen, unbedingt beim Lernen zu bleiben und die Schule nicht frühzeitig abzubrechen. Er hat der Klasse von Josies Kids ein Spiel versprochen, wenn sie durchhalten. Die Kids schwärmen noch immer von ihm.«
Eve lächelte. »Typisch Tom, so etwas zu tun, ohne damit anzugeben. Er stammt eben aus gutem Haus.«
Sal schubste sie sanft mit der Schulter an. »Und du stammst aus demselben.«
»Nicht ganz.« Toms Mutter, Caroline, war eine der drei großartigen Frauen gewesen, die sich um sie gekümmert hatten. Eve hatte keine Ahnung, wo ihre leibliche Mutter war oder ob sie überhaupt noch lebte. »Aber ich hatte das Glück, immer bei guten Leuten unterzukommen.«
Sie füllte einen zweiten Krug und reichte beide an den wartenden Gast weiter. Der Schmerz in ihrer Hand war nun ein konstant dumpfes Pochen geworden, aber sie wusste, dass man ihr nichts anmerkte. Bis Sal sie von der Seite anstieß.
»Geh deine Hand kühlen«, sagte er und erstickte ihren Protest mit einem warnenden Blick.
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