Todesstoß / Thriller
fertig. Einen Moment lang blickte er besorgt in die Grube hinab. Zwei Tage war es her. Erst. So kurz hintereinander war er noch nie auf Beutefang gewesen.
Er musste vorsichtiger sein, dachte er, während er die Leiche zur Grube schleifte und hineinrollte. Er war noch nie zuvor zweimal in die gleiche Straße gefahren. Heute schon. Als er von Eve weggefahren war, hatte er sich geradezu auf Autopilot befunden.
Es musste am Stress liegen. Wenn alles vorbei war, würde er zur alten, bewährten Methode zurückkehren. Dann würde alles wieder ganz normal sein. Er zog seine Schutzkleidung an, vollzog die üblichen Handgriffe und warf die Kleider des Mädchens hinterher. Als er fertig war, schloss er den Deckel, nahm die billigen Schuhe und stellte sie auf das Regal neben Christy Lewis’ teure Manolos.
Er trat einen Schritt zurück und betrachtete seine Sammlung. Sein Keller war ein wahres Archiv für Frauenschuhe, denn die Modelle umspannten fast dreißig Jahre. Die meisten waren natürlich von der grelleren Sorte, die respektable Frauen niemals tragen würden, und es handelte sich hauptsächlich um kleine Größen, da seine Opfer eher zierlich waren. Zierliche, kleine Frauen waren leichter zu überwältigen, leichter zu transportieren. Auf diese Art konnte er seine Energien ganz auf das konzentrieren, was anschließend in diesem Raum geschah.
Es gab Ausnahmen. Sein Blick wanderte zum unteren Regalfach, ganz nach links. Neben den Arbeiterstiefeln des Mannes, der ihm die Grube ausgehoben hatte, stand eine Paar abgewetzte Pumps, schwarz, Größe einundvierzig. Sie waren schlicht, hässlich, bieder sogar, und schon vor dreißig Jahren unmodern gewesen. Weswegen sie auch für den Wohltätigkeitsfundus der Kirche gespendet worden waren.
Er erinnerte sich noch gut daran, wie sie sie aus dem Korb gewühlt hatte. Diese Schuhe und andere Klamotten, die zu abgetragen waren, um sie als Lumpen zu verwenden. Ein paar Kleider für sich selbst. Hosen für ihre Söhne, die dem großen zu kurz und dem kleinen zu lang waren. Ihr war es egal. Ihr war egal, dass jeder auf den ersten Blick sehen konnte, woher ihre Kleidung stammte. War egal, dass die ganze Stadt ihre Kinder auslachte.
Sie besaß keinen Stolz. Keine Scham. Nichts außer dem egoistischen, unlöschbaren Durst. Er nahm einen Schuh in die Hand und betrachtete ihn. Er war abgenutzt, weil sie ständig gestürzt war.
Und sie war ständig gestürzt, weil sie ständig besoffen gewesen war. Sie und der konstante Zustrom an Liebhabern, die sie zu Hause empfing, um sich die nächste Flasche zu verdienen. Nur waren leider nicht alle so betrunken gewesen wie sie. Und einige waren gekommen, weil sie diese nächste Flasche für einen anderen Preis verkaufen wollten.
Seine Hand ballte sich zur Faust, und er zwang sich, sie zu entspannen. Er wollte sein wertvollstes Souvenir nicht beschädigen. Er dachte an den Tag zurück, an dem er ihr die Schuhe von den Füßen gezogen hatte. Sekunden, nachdem er die Hände von ihrer Kehle genommen hatte.
Sekunden, nachdem er ihr elendes Leben beendet hatte.
Er erinnerte sich ebenfalls noch sehr genau an den Anblick ihrer Gestalt, die draußen am Baum hing und leicht hin und her schwang. Vor ihrem rostigen alten Wohnwagen, den sie ihr »Zuhause« genannt hatte. Kein Stolz. Keine Scham. Und kein Leben mehr.
Er hatte den Ast sorgsam ausgewählt, denn sie war eine große Frau gewesen. Dass sie diese Gene nicht an ihn vererbt hatte, war ihm oft komisch vorgekommen.
Tatsächlich hatte er darüber lachen müssen, als er sie hinaufzogen hatte, bis die Füße im Leeren baumelten. Er hatte dafür mehr Kraft aufwenden müssen als gedacht, aber es war die Mühe wert gewesen. Die Schlinge zu knüpfen war kein Problem gewesen, dafür hatte er schließlich monatelang geübt. In der Jugendhaft hatte er ohnehin nicht viel mehr tun können – nicht viel mehr, als auf sich selbst aufzupassen und davon zu träumen, wie er ihr die Hände um die Kehle legte.
Die moralische Befriedigung hatte er erwartet, auch den Kick, den er verspürte, als sie den letzten Atemzug tat. Was er nicht erwartet hatte, war die pure sexuelle Lust, die sich in einem berauschenden Orgasmus entladen hatte, und dieses erste Mal hatte es ihn aus der Bahn geworfen. Er hob den Blick und ließ ihn über seine Sammlung schweifen. Danach hatte er gewusst, was auf ihn zukam, war darauf vorbereitet gewesen.
Wieder betrachtete er den Schuh in seiner Hand. Er hatte sie aufgeknüpft baumeln lassen.
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