Todesstoß / Thriller
nur noch ein paar Dollar übrig, und die brauchte sie für den Bus.
Die Haltestelle befand sich einen Block weiter, also senkte sie den Kopf und marschierte entschlossen gegen den Wind voran. Doch der Gehweg war vereist, und im nächsten Moment war sie auf dem Hinterteil gelandet. Ihre Tasche öffnete sich beim Fallen, und die losen Zettel flatterten davon.
»Oje, du Arme. Ich helfe dir.« Es war ein sehr großer Junge. Obwohl, er war älter, eher ein Student. Nun sammelte er ihre Zettel ein und brachte sie ihr zurück. »Ein paar sind etwas schmutzig geworden.«
»Nicht schlimm. Danke.« Sie schob die Zettel in ihre Tasche zurück und rappelte sich auf, doch ihr wurde gleich wieder schwindelig.
Magen an Großhirn: Ich brauche Nahrung.
»Alles okay mit dir?«
Sie sah auf. Sehr weit auf. Liza war einssiebenundsiebzig, er musste also einiges über einsneunzig groß sein. »Ja, danke.«
Er betrachtete sie mit zusammengezogenen Brauen. »So siehst du aber nicht aus. Du bist ganz schön blass.«
»Mir geht’s gut, wirklich.« Dann stöhnte sie frustriert auf, als sie den Bus davonfahren sah. »Außer, dass ich meinen Bus verpasst habe. Und der nächste fährt erst in zwanzig Minuten.«
Vergeudete Zeit. Verdammt.
Sie wollte sich wieder in Bewegung setzen, aber er folgte ihr.
»Du bist doch eben aus dem Notausgang gekommen, oder?«
Sie sah ihn finster an. »Wieso? Willst du mich verpetzen?«
»Nein, aber … na ja, wieso schwänzt du überhaupt? Du siehst gar nicht danach aus.«
»Ach, und wie muss man dafür aussehen?«, stieß sie hervor. Sie dachte an den Officer, der Lindsay nicht als vermisste Person eingeben wollte, weil sie … weil sie eine Prostituierte war.
»Nicht wie jemand, der im Collegekurs für Englisch ist. Beim Aufsammeln habe ich deine Arbeit über die Novelle
Herz der Finsternis
gesehen«, fügte er hinzu. »Die Eliteschüler, die ich kenne, würden niemals eine Stunde ausfallen lassen. Außerdem sind deine Augen rot. Du hast geweint.«
»Ich habe Heuschnupfen«, fauchte sie ihn an.
»Im Februar?Denk dir was Besseres aus.«
»Ich muss jetzt los. Falls es dir nichts ausmacht.«
»Und wohin willst du?«
Liza verdrehte die Augen. »Das geht dich gar nichts an.«
»Na ja, ich habe ein schlechtes Gewissen, weil du deinen Bus verpasst hast. Kann ich dich irgendwo hinbringen?«
Sie starrte ihn entgeistert an. »Nein! Und wenn du mich nicht in Ruhe lässt, rufe ich die Bullen. Ich bin übrigens gerade auf dem Weg zur Polizei, dann kann ich dich gleich anzeigen.«
»Willst du wegen deiner Schwester zur Polizei?«
Liza blieb wie angewurzelt stehen. »Woher weißt du das?«
»Nur eine Vermutung. Eines der Blätter, die ich gerade aufgesammelt habe, war ein Polizeibericht. Barkley, Lindsay. Auf der Englischarbeit stand der Name Liza Barkley und du hast starke Ähnlichkeit mit dem Mädchen auf dem Foto.«
Liza schüttelte den Kopf. »Was bist du – ein Sherlock Holmes für Arme?«
Er grinste. »Nein. Aber du sahst aus, als könntest du Hilfe gebrauchen, und ich habe halt ein schlechtes Gewissen, weil meinetwegen den Bus verpasst hast. Nimm ein Taxi zur Polizei.«
»Klar doch.« Sie setzte sich wieder in Bewegung und murmelte dabei: »Kann mir nicht mal was zu essen leisten, und dieser Spinner sagt, ich soll mir ein Taxi nehmen.«
»Nein.
Ich
bezahle.« Er war wieder an ihrer Seite und hielt ihr einen Zwanzig-Dollar-Schein hin. »Und besorg dir was zu essen. Du siehst aus, als hättest du es nötig.«
Liza blieb erneut stehen und starrte auf das Geld in seiner Hand. »Du machst mir Angst.«
»Wie wär’s, wenn ich dir etwas zu essen ausgebe, während du im Warmen auf den Bus wartest?«, meinte er, als sie sich nicht regte. »Gegenüber von der Bushaltestelle gibt’s Sandwiches.«
Sie zögerte. »Ich will keine Almosen.«
»Aber du hast Hunger. Komm schon.« Er nahm ihr die Tasche aus der Hand und setzte sich in Bewegung.
»Hey.« Sie stolperte hinter ihm her. »Das ist meine Tasche!«
»Liza, vertrau mir doch wenigstens bis zum Imbiss, okay?«
»Habe ich eine Wahl?«, fragte sie und hastete hinter ihm her.
Sie betraten den Imbiss, und er legte ihre Tasche auf einen Tisch. »Setz dich. Ich komme gleich wieder.« Sie gehorchte, und einen Moment später kam er mit zwei Sandwiches und Pommes Frites zurück. »Iss«, sagte er, und sie gehorchte wieder. Sie konnte gar nicht anders. »Langsam«, mahnte er. »Wann hast du zum letzten Mal etwas zu dir genommen?«
»Ein Ei heute
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