Todesstunde
Sein Gefolge aus männlichen und weiblichen Backgroundsängern, alle ebenfalls in Gefängnisoveralls gekleidet, stand hinter ihm still wie die Wachmannschaft des Buckingham-Palasts und wartete auf die erste Bassnote, damit es endlich mit dem wirren Zeug loslegen konnte.
Viele der jungen Menschen in der Menge hielten Mobiltelefone in ihren Händen und nahmen das Spektakel auf. Auch Berger hielt sein Telefon nach oben, aber nicht, um ein Bild zu schießen.
Sondern um ein eigenes zu gestalten.
Dazu drückte er eine Kurzwahltaste.
»Und eins, zwei«, rief The Show.
»Die Show ist vorbei«, sagte Berger.
Ein Licht blitzte auf, gefolgt von einem donnernden Knall samt langem, knackendem Echo. The Show stand einfach nur da, das Mikrofon vor seinem aufgesperrten Mund, während die Kamera eine Rauchwolke hinter ihm einfing. In 1080 HD mit Dolby Surround. Berger war von den Socken.
Er schaltete auf Channel Two um.
Auf CBS lief die Early Show. Die Moderatorin, eine nuttig aussehende Bimbofrau, grillte Fisch auf dem Platz zwischen der 59th Street und der Fifth Avenue mit keinem Geringeren als dem Starkoch Wolfgang Puck.
»Ja, siehst du? Ja«, sagte Wolfgang.
»Ja, Wolfi, ich sehe es, ich sehe es«, sagte Berger, als er eine andere Kurzwahltaste drückte, um eine zweite Bombe hochgehen zu lassen, die er hinter dem Koch neben einem Abfalleimer in der Ecke platziert hatte.
Im gleichen Moment war eine noch heftigere Explosion zu hören. Jemand begann zu schreien.
»Und hier hast du den Salat«, höhnte Berger und schaltete zu ABC um.
Dort interviewte Diane Sawyer einen Sportredakteur, der seinen neusten seichten, auf die Tränendrüsen drückenden Bestseller vorstellte. Sie standen auf einem der Studiodächer am Times Square.
»Erzählen Sie mir, woher Sie Ihre Ideen bekommen«, wollte Diane wissen.
»Eigentlich will ich das gar nicht wissen«, sagte Berger und drückte die Kurzwahltaste für die dritte Bombe, die er unterhalb von ihnen mitten auf dem Times Square deponiert hatte.
Der Knall war leiser, was wegen der Position auf dem Dach logisch ist, dachte Berger und blickte auf den Orientteppich hinab. War bei dieser Explosion Glas zu Bruch gegangen? Er nickte mit einem Grinsen. Ja! Wunderbar!
Zufrieden schaltete er den Fernseher aus. Sich das nachfolgende Chaos anzusehen würde nur beweisen … was? Dass die Menschen Angst vor Bomben hatten? Das wusste er bereits. Besser als die meisten anderen. Jetzt war es Zeit, sich vor dem Mittagessen auszuruhen.
Er war ausgesprochen stolz auf seine Bomben, einfache Dynamitstangen, die an einer WLAN-Antenne befestigt und über einen dünnen Zünddraht mit einer Uhrenbatterie verbunden waren. Insgesamt war die Bombe nicht groß, aber groß genug, um den Menschen eine Heidenangst einzujagen. Groß genug, um die Menschen dazu zu bringen, über ihre nächsten Schritte nachzudenken.
Mit hochexplosiven Sprengkörpern war es genauso wie mit Immobilien. Entscheidend war allein der Standort.
Er ging ins Badezimmer und drehte das Wasser für die Badewanne auf, gab Badeschaum und -salz dazu und zündete ein paar Kerzen an. Anschließend legte er eine CD ein, die er noch nicht kannte, und schluckte eine Vitamin-S-Tablette. Nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren, ließ er sich zu den Klängen einer Frauenstimme, die wie die eines Engels von den weißen Wänden aus Tiroler Marmor widerhallte, ins warme Wasser sinken.
»Who can say where the road flows?« ,sang Berger mit und schloss die Augen.
»Where the day goes?
Only time. «
29
Ich drückte meinen Kopf tiefer ins Kissen, als eine kleine Hand meinen großen Fuß schüttelte. An dem grellen Licht, das meine geschlossenen Augenlider zu durchdringen versuchte, merkte ich, dass ich zu spät zur Arbeit kam. Aber das war mir so was von egal.
Ich wollte erst gar nicht über den wahnsinnigen Brief, den ich am Abend zuvor von Sams Sohn erhalten hatte, nachdenken, geschweige denn mich anderweitig mit ihm befassen.
Schließlich hörte ich ein Kichern, und andere Finger legten sich um meinen anderen Fuß. Zwei Wesen hatten irren Spaß auf Papas Kosten. Zwei Wesen, die gleich was auf den Hintern bekommen würden.
»Daddy«, sagte Shawna und wackelte mit meinem Ohr.
»No es Daddy hier« ,antwortete ich mit schlecht imitierter Speedy-Gonzales-Stimme, während ich Shawnas Hand wegscheuchte. »Daddy es mucho müde. «
»Aber du musst aufstehen, Daddy«, beharrte Shawna. »Opa macht Frühstück. Opa. «
»Was?« Und schon war ich in
Weitere Kostenlose Bücher