Todesstunde
rasch hinzu. »Es tut uns leid, dass Ricky einen Rechner mitgenommen hat, obwohl er das nicht durfte.«
»Darüber reden wir später.« Mary Catherine konfiszierte den Rechner und deckte die Mädchen zu. »Du bist schon früh auf«, sagte sie mit misstrauischem Blick auf meine Schuhe, als wir das Zimmer verließen. »Komm in die Küche. Ich koche dir einen Kaffee, bevor du fährst.«
»Würde gerne darauf eingehen, aber ich habe keine Zeit«, log ich. »Wir haben schon ganz früh eine Besprechung.«
Mary Catherine blickte mich eindringlich an. »Es ist halb sechs.«
»Die Pflicht ruft«, wehrte ich mit einem hoffentlich überzeugenden Lächeln ab und winkte ihr auf dem Weg zur Haustür zum Abschied zu.
Auf der Veranda blieb ich abrupt stehen. Selbst in der düsteren Morgendämmerung konnte ich es erkennen. Jemand hatte die Wand hinter der Hollywood-Schaukel besprüht.
»Haut ab, ihr dummen Schweine!«
Meinen Brummschädel in Händen haltend, starrte ich auf die Schrift. Diese Mistkerle waren mitten in der Nacht auf meine Veranda gekommen! Scheint nicht funktioniert zu haben, den Flahertys Angst einzujagen. Die Sache geriet völlig aus dem Ruder.
»Sieht so aus, als hätten die Flahertys bei Quentin Tarantino schreiben gelernt«, sagte Seamus hinter mir in seinem Bademantel.
Ich schüttelte den Kopf. Ob es mir gefiel oder nicht, ich musste zur Arbeit. Um diese Gräueltat konnte ich mich nicht auch noch selbst kümmern. Deswegen schielte ich zu Seamus.
»Ich stecke bis zum Hals in Arbeit, Seamus. Meinst du, du kannst das wegmachen, bevor die Kinder es sehen?«
Seamus blickte mich scharf an. »Oh, keine Sorge, Michael Sean Aloysius. Ich werde mich hier um jeden Unfug kümmern, bevor die Kinder ihn sehen.«
Die besondere Betonung seiner Worte ließ mich zusammenzucken. Mir wurde an diesem Morgen ganz schön viel katholische Schuld aufgeladen, ohne dass ich darum gebeten hätte.
»Und eins sag ich dir: Egal, ob ich in den Knast komme oder nicht, ich werde den ersten Flaherty, der mir vor die Flinte läuft, in die Hölle befördern, wo er hingehört«, rief er mir hinterher. »Ich bin zwar ein alter Knacker, aber Clint Eastwood aus Gran Torino wird neben mir wie ein Weihnachtsmann aussehen.«
»Dafür sorgst du doch schon jetzt«, flüsterte ich, eilig den Schutz meines Polizeiwagens suchend.
37
Anstatt ins Zentrum in mein übervolles, hektisches Großraumbüro zu fahren ging ich Manhattan vollkommen aus dem Weg und nahm die Triborough Bridge weiter im Norden zum New York State Thruway. Eineinhalb Stunden später war ich in der Nähe von Monticello in Sullivan County und trank Kaffee, den ich mir an einem Rastplatz besorgt hatte. Neben mir zogen vernebelte Kiefernwälder, Seen und Bauernhöfe vorbei.
Ganz in der Nähe hatte Woodstock stattgefunden. Hier hatten sich auch die »Borschtsch-Gürtel«-Feriensiedlungen befunden, wo jüdische Komiker wie Milton Berle, Don Rickles und Woody Allen ihre Karriere begonnen hatten.
Leider hatte mein Besuch nichts mit Musik und noch weniger mit Lachen zu tun. An diesem Vormittag war Fallsburg mein Ziel, die Heimat der Justizvollzugsanstalt von Sullivan.
Meine Chefin und ich hatten beschlossen, dass es Zeit war, mit seinem berüchtigtsten Bewohner, David Berkowitz, zu sprechen, dem Kaliber-.44-Mörder. Sams Sohn höchstpersönlich.
Dafür gab es mehrere Gründe. Einer der zwingendsten war, dass der Doppelmord Montagnacht in Queens nicht das einzige Verbrechen war, mit dem Sams Sohn nachgeahmt wurde.
Kaum hatten wir die Spur mit Sams Sohn intern weitergegeben, hatte ein wachsamer Detective aus der Bronx angerufen. Er hatte berichtet, am Sonntag habe ein Latino-Mädchen in der Bronx eine Messerstecherei in Co-op City nur knapp überlebt. Ihr Angreifer habe eine seltsame Perücke im David-Berkowitz-Stil getragen und ihr abartige Sachen gesagt, während er sie langsam aufgeschlitzt hatte. Dieses Verbrechen ahmte in nahezu perfekter Weise Berkowitz’ erstes Verbrechen nach, bei dem er 1975 wahllos ein Mädchen in Co-op City mit dem Messer malträtiert hatte.
Es gab eine lange Liste mit Menschen, mit denen ich meinen Vormittag lieber verbracht hätte, doch da Berkowitz in einer gewissen Verbindung zu den letzten Morden zu stehen schien, konnte es sinnvoll sein, mich mit ihm zusammenzusetzen. Möglicherweise machten wir uns zu große Hoffnungen, doch wenn man nach sieben Morden noch immer keine Spur hatte, war endlich Kreativität gefragt.
Das Gefängnis lag, dezent von
Weitere Kostenlose Bücher