Todesstunde
,wiederholte Carl und jagte dem Jungen jeweils eine Kugel in die geschlossenen Augen.
74
Fast eine Stunde später kamen Emily und ich ins 19. Revier, um Berger zu verhören.
Das Haus und der Straßenblock, in dem Berger wohnte, wurden noch immer von der Sondereinheit und den Sprengstofftechnikern auf den Kopf gestellt. Von Carl Apt gab es keine Spur. Als hätte er sich in Luft aufgelöst.
Emily und ich hielten im Erdgeschoss in dem engen Flur vor den Verhörzimmern einen kurzen Kriegsrat. Hinter einem der Spiegel sahen wir Lawrence Berger, der ziemlich entspannt auf einer Rolltrage lag. Jemand hatte es geschafft, ihm eine Tyvek-Hose überzustreifen, doch sein Oberkörper war noch immer nackt.
Ich konnte kaum meine Wut unter Kontrolle halten. Berger schien seinen Spaß an den Verbrechen und ihrer Widerwärtigkeit zu haben. Auch wenn er offenbar geistig gestört war, konnte ich die Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen. Mir ging der Wahnsinn auf den Keks. Und der Fall. Und vor allem, dass dieser Fall noch nicht abgeschlossen war.
Wir überlegten, dass ich zunächst allein hineingehen und ihn ein bisschen aufwärmen sollte.
»Denk dran, Mike«, ermahnte mich Emily, bevor ich ging. »Dieser Kerl ist ein gieriger Mensch. Seine Themen sind Manipulation, Herrschaft, Kontrolle und verdrängte Wut. Lass ihn nicht an dich heran.«
»Wenn er es tut, lass mir eine oder zwei Minuten Zeit, bevor du versuchst, mich von ihm wegzuziehen«, bat ich.
Trotz meiner Wut betrat ich das Verhörzimmer mit einem Lächeln auf dem Gesicht. »Hi, Lawrence. Darf ich Sie Lawrence nennen?«
»Selbstverständlich, Detective.« Berger blickte sich in dem kalten, schäbigen Raum um. »Ich war mal Hilfspolizist hier. Können Sie sich das vorstellen? Nach meiner Schicht ging ich in Polizeibars, um mir Yankee-Spiele anzusehen und mit den Kollegen Bullentussen anzumachen. Hinter meinem Rücken nannten sie mich Schwabbel, aber das war mir egal. Ich war wie ein Maskottchen für sie, und sie ließen sich gerne von mir zu einer Runde einladen.«
»Das ist wirklich interessant, Lawrence«, unterbrach ich ihn. »Aber eigentlich wollte ich Sie noch einiges über Carl fragen. Wir haben oben in Ihrer Wohnung nach ihm gesucht, aber dort war er nicht. Wo könnte er Ihrer Meinung nach hingegangen sein? In Ihr Wochenendhaus in Connecticut?«
»Vielleicht«, antwortete Berger mit zusammengekniffenen Augen. »Aber das bezweifle ich. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich glaube, Sie werden es schwer haben, ihn zu finden. Er wuchs in den Appalachen in schrecklicher Armut auf, und als ich ihn kennenlernte, lebte er auf der Straße in der Nähe des Union Square Park. Er nannte es ›Stadt-Campen‹. Carl ist ehemaliger Soldat, er mag die harte Tour. Ich denke, er steht auf Schmerzen. Er behauptet, bei Delta Force gewesen zu sein, bevor man ihn rausgeschmissen hat. Er ist ein ziemlich einzigartiger Mensch.«
»In welcher Hinsicht?«, wollte ich wissen.
»Zum einen hat er als Kind nie eine Schule besucht, doch er verfügt über eine wache Intelligenz. Nachdem ich ihn von der Straße geholt hatte, führte ich ihn an einige Dinge heran. Kunst. Literatur. Ich habe ihn sogar auf das städtische College geschickt. Er hat alles sofort aufgenommen. Er war wie ein Schwamm.«
»Wow«, sagte ich nur.
»›Wow‹ ist richtig«, stimmte Berger zu. »Wir blieben oft lange auf, manchmal die ganze Nacht, und redeten über Gott und die Welt. Über das, was uns gefiel. Was wir hassten. Als ich langsam meine dunkleren Seiten zu erkennen gab, zum Beispiel meine Besessenheit von den allerblutigsten Verbrechen, ging Carl immer ganz locker damit um, ganz vorurteilsfrei.«
»Ihr beide wart gute Kumpel«, sagte ich. Ich wünschte, ich hätte ein Aspirin.
»Ja, wir waren Freunde. Ist es denn so schwer zu glauben, dass selbst jemand so Abscheuliches wie ich einen Freund finden kann? Carl bewies seine Freundschaft, als ich herausfand, dass ich sterben würde. Habe ich Ihnen das erzählt? Ich habe einen angeborenen Herzfehler. Gepaart mit leicht exzessiver Naschsucht. Sie dürfen lachen, Mike. Das ist ein Witz.«
Du bist ein Witz, dachte ich lächelnd.
»Jedenfalls sagte Carl ein paar Tage nach der schlechten Nachricht über mein Herz, er habe eine Überraschung für mich. Das beste Geschenk, das man einem Menschen machen kann. Er legte mir seinen Plan dar, wie er meine Feinde vernichten und mir gleichzeitig einen Spaß bereiten wollte. Ich war fasziniert. Ich wusste nicht, ob er
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