Todesstunde
sagen ließ, der begabteste Berger überhaupt. Mit neun Jahren hatte ihn das Juillard-Konservatorium dank seines Talents als Komponist als bisher jüngsten Schüler aufgenommen. Im Alter von fünfundvierzig Jahren verblasste seine legendäre Karriere als Hollywood-Komponist vielleicht nur vor der Ikone John Williams.
David hätte locker mehr als einen Oscar gewinnen können, hätte er sich nicht verächtlich über die Filmindustrie geäußert. Stets hatte er nur schöne Musik machen wollen und tat es immer noch. Manchmal in seinem Haus auf der Gebirgsseite von La Jolla, manchmal in seiner Villa im Burgund. Lawrence war nie dorthin eingeladen worden, doch er hatte in einem Architectural Digest Bilder gesehen. Sie hatten ihm gefallen.
David war ein einfacher und wohlwollender Mensch. So einfach und wohlwollend wie sein Vater und dessen Vater vor ihm gewesen waren. Alle waren sie Beispiele für voll ausgenutztes menschliches Potenzial. Schließlich waren sie Bergers. Außer ihm, natürlich. Lawrence. Der arme, traurige, langsame, peinliche Lawrence.
Berger lächelte zur Decke seiner Gefängniszelle hinauf.
Die Familie Berger hatte ein Jahrhundert für ihre gesellschaftlichen, weltweit anerkannten Leistungen gebraucht.
Wenn alles wie geplant lief, was offenbar der Fall war, würde er erfolgreich alle Triumphe der Familie Berger in einer Woche zunichtemachen.
Entschuldige, Großvater. Entschuldige, Vater. Entschuldige, Bruderherz, dachte Berger mit einem Achselzucken. Ihr müsst das Gute darin sehen. Der Name Berger wird unvergesslich bleiben. Nur nicht so, wie ihr es wolltet.
Lawrence’ letztes Geschenk würde schließlich seinem heiligen, begabten Bruder vermacht werden: das Filmmaterial aller von ihm akribisch geplanten Verbrechen. Es war noch nicht vollständig, es fehlten noch einige ausgewählte Szenen, die hinzugefügt werden mussten, doch er vertraute auf seinen Erfolg. Er könnte seinen letzten Willen nicht in kompetentere Hände geben.
Über diesen Film würde David nachdenken, sich über ihn wundern und ihn schließlich umsetzen müssen.
Lawrence wusste, er war kein Spielberg, Scorsese oder Coppola, doch vielleicht würde sein Bruder letzten Endes verstehen, dass er, Lawrence, auch etwas Talent besaß.
War das zu viel verlangt?
76
Berger schreckte aus seinen Träumen auf, als sein langjähriger Anwalt, Allen Duques, die Tür zu seiner Zelle öffnete. Duques, Partner einer angesehenen Kanzlei, erledigte alle Geschäfte von Lawrence. Der untersetzte, aristokratisch aussehende Mann mittleren Alters wirkte gänzlich ratlos, als er Berger hinter dem Maschendraht erblickte. Er zog einen Stuhl heran, zögerte aber, bevor er sich setzte, als befürchtete er, seinen tadellosen blauen Anzug zu zerknittern.
»Sagen Sie mir, dass das nicht wahr ist, was die Polizei behauptet, Lawrence«, bat der adrette, grauhaarige Anwalt, während er sein Telefon ausschaltete. »Diese Morde und die Bombe im Grand Central Terminal – Sie haben Ihre Beteiligung zugegeben? Das verstehe ich nicht.«
Bergers Hängebacken wackelten, als er den Kopf schüttelte. »Das versuche ich Ihnen gleich zu erklären, Allen, aber zunächst einmal: Haben Sie ihn mitgebracht? Den Kaviar?«, fragte Berger voller Hoffnung.
Er hatte unmittelbar vor seiner Verhaftung eine Dose nach der anderen von dem iranischen Kaviar in sich hineingestopft. Der Gedanke daran, sich über die letzte Dose des schwarzen Goldes herzumachen, hatte ihn beinahe in Hochstimmung versetzt.
»Natürlich, Lawrence, aber leider wurde mein Aktenkoffer durchsucht. Der Kaviar wurde konfisziert. Tut mir leid. Ich würde sagen, es hat mit dem Polizisten zu tun, der sein Leben bei dem Bombenattentat verloren hat. Hier werden Sie keine Freunde finden, fürchte ich.«
Berger begann zu weinen. In Gedanken stellte er sich Dalís Christus des heiligen Johannes vom Kreuz vor, ein Bild, auf dem Jesus von oben über einem Gewässer dargestellt wird.
»Lawrence, ist alles in Ordnung?«, fragte Duques. »Ich denke, wir sollten ernsthaft in Betracht ziehen, die Verteidigung auf Unzurechnungsfähigkeit aufzubauen. Ich mache mir … ziemliche Sorgen um Sie.«
»Können wir morgen bei der Anklagevernehmung darüber reden, Allen?«, fragte Berger, als er sich wieder unter Kontrolle hatte. »Ich wäre jetzt wirklich gerne allein. Bitte.«
Berger drehte sich zur Wand zurück, nachdem sein Anwalt die Zelle ohne weitere Umstände verlassen hatte. Wütend ging er die primitiven Zeichnungen von
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