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Todesstunde

Todesstunde

Titel: Todesstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Patterson
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ihm egal. Die Kellner in weißen Jacken, die Jugendstilmöbel, das verträumte Licht – wie der Tea Garden im Plaza Hotel und der 21 Club gehörte diese Bar zu seinen Lieblingsorten in der Stadt.
    Er blickte sich im Spiegel über der Bar an. Eng anliegendes schwarzes Polohemd von Dior Homme, schmale schwarze Jeans von Raf Simmons, klobige goldene Rolex Presidente. Vertrauenerweckend, schick, gut betucht. Er passte gut hier rein. Was ziemlich komisch war, wenn man wusste, woher er gekommen war.
    Er hätte gesagt, er habe seinen Karren selbst aus dem Dreck gezogen, doch er hatte sich nie einen Karren leisten können. Die ganze Last hatte er auf seinen Schultern tragen müssen. Er war in den Appalachen in einem Ort namens Manette Holler in Pennsylvania, in der Nähe der Grenze zu West Virginia, aufgewachsen. Seine Familie waren arme Hinterwäldler gewesen, hatten in einem Wohnwagen mit Blick auf einen Schrottplatz gelebt. Seine halb zahnlose, alkohol- und drogensüchtige Mutter hatte ab und zu an der Raststätte gearbeitet, wenn sie nicht auf dem Parkplatz dahinter ein paar Kröten als Nutte verdient hatte.
    Sein Onkel Shelby war der Eigentümer des Schrottplatzes gewesen, ein sadistisches Schwein, das ihn aus lauter Jux und Tollerei geschlagen hatte. Mit der Zeit hatte sich Apt fast daran gewöhnt. Als er in die Schule gekommen war, hatten auch die größeren Kinder versucht ihn zu schlagen, doch seinem bösen Onkel hatten sie nicht das Wasser reichen können.
    Das Militär war der einzige Weg, um von Manette Holler fortzukommen. Diesen Weg war er mit siebzehn gegangen. Die 82nd Airborne Rangers waren für ihn wie ein wahr gewordener Traum – dreimal am Tag essen und ein eigenes Bett. Man hatte ihm beigebracht, zu töten und in der Wildnis zu überleben. Er hatte rasch gelernt.
    Er hätte seinem Land in den Special Forces immer noch gedient, wenn man ihn nicht gänzlich verarscht hätte. Doch kaum draußen, war er abgetaucht. Ostküste, Key West nach Maine. Er war zu Fuß marschiert, hatte auf den Straßen oder dem Appalachen-Pfad gelebt, sich auf Güterwaggons versteckt.
    So hätte er den Rest seines Lebens verbracht, hätte er nicht Lawrence kennengelernt. Lawrence hatte nicht nur herausgefunden, dass er nicht lesen und schreiben konnte, sondern ihm auch gezeigt, wie er es lernen konnte. Und das im Alter von dreißig Jahren. Lawrence war sein Wohltäter und Lehrer geworden wie Aristoteles für Alexander den Großen.
    Er dachte an all die Bücher, Abendessen und Diskussionen. An dieses wunderbare Gefühl, in aller Seelenruhe am Fenster zu sitzen und zu lesen, während der Wind durch die Bäume des Central Park heulte. An die Fahrten nach Connecticut im Herbst über die Route 7 und an den schnurrenden Motor des Mercedes. So hätte er den Rest seines Lebens verbringen können. Glücklich, allein. Es wäre ein gutes Leben gewesen. Ein geordnetes Seelenleben.
    Doch dann hatte Lawrence die Diagnose erhalten, dass sein großes Herz versagte. Er hatte gedacht, dass all die guten Dinge nun zu Ende wären. Da war Lawrence mit einem nicht ganz so bescheidenen Vorschlag an ihn herangetreten. Wenn Carl alle Feinde des Freundes auslöschte, würden die Ausbildung und die ästhetischen Entdeckungen bis zum Ende seines Lebens fortdauern. Mit freundlicher Unterstützung von Lawrence Berger. Sobald der letzte Mensch auf Lawrence’ Liste ausgelöscht wäre, würde Carl Zugang zu einem Nummernkonto in Genf erhalten.
    Immerhin hatte er für sein Land getötet und dabei genauso wenig verdient wie seine Mutter an der Raststätte. Für seinen Freund zu töten und dafür ein Erbe von zwanzig Millionen Dollar anzutreten war dagegen Pipifax.
    Apt aß noch ein paar Erdnüsse und ließ den Blick nach rechts und links wandern wie ein Falke auf einem Strommast. Er rührte in seinem Glas und beobachtete die Menschen am Tisch. Eine gut ausstaffierte, aufgehübschte, geschiedene Frau auf der Jagd. Eine gut frisierte dunkelhäutige Prada-Tussi mit drei tollen Asiatinnen. Ein männliches schwarzes Model in weißem Sportmantel, der ununterbrochen versuchte, Apts Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
    Dann sah er sie, eine blasse Blondine Ende zwanzig mit beträchtlicher Oberweite. Sie saß am anderen Ende der Bar, war umgeben von einem erotischen, nuttigen Glanz wie im Hollywood von anno dazumal. Wie Marilyn Monroe.
    Carl wusste, dass sie nicht Norma Jean Baker, sondern vielmehr Wendy Shackleton hieß. Sie hatte es auf Bergers Liste geschafft, weil sie

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