Todesstunde
Geschenk wollte ich dich ganz alleine für mich haben, Mike, wenigstens für ein paar Stunden.« Sie nahm die Flasche vom Tisch. »Keine Kinder. Keine Arbeit.«
Ihre freie Hand suchte und fand meine. Sie zog mich nach oben und führte mich ins Zimmer. Dort stellt sie die Flasche ab, schloss die Tür, zog die Vorhänge zu und lag plötzlich in meinen Armen.
»Nur dich«, sagte sie und küsste mich.
Wir küssten uns eine Zeitlang im Stehen. Ich spürte die Gänsehaut auf ihren Armen. Emily zitterte, als ich meine Hand auf ihren nackten Rücken legte.
»Ich will dich, Mike«, flüsterte sie ein paar wundervolle Minuten später. Wieder ergriff sie meine Hand, zog mich aber diesmal Richtung Schlafzimmer. »Schon vom ersten Moment an.«
Eine Weile küssten wir uns noch auf dem Bett, bevor sie mich freigab und ins Badezimmer ging. »Hol den Champagner aus dem Wohnzimmer«, bat sie mich. »Ich bin gleich zurück.«
Ich ging hinaus und nahm die Flasche vom Beistelltisch, verharrte aber, als ich mich zum Schlafzimmer zurückdrehte. Plötzlich war mir klar: Ich kann das nicht tun. Ich wusste nicht einmal, warum. Pascal sagte, das Herz habe seine Gründe, von denen der Verstand keine Ahnung habe.
Ich stellte die Flasche zurück. Statt zur Schlafzimmertür ging ich zur Eingangstür des Hotelzimmers.
Unten angekommen, blickte ich noch einmal zu Emilys Balkon hinauf. Kopfschüttelnd machte ich mich auf die Suche nach meinem Wagen.
94
Carl Apt aß das letzte Stück seines Kuchens, zerknüllte das Papier und zielte, ohne stehen zu bleiben, auf den Abfalleimer, an dem er vorbeikam. Das Papier prallte vom Laternenpfahl ab und landete genau in der Mitte des Eimers.
Volltreffer! Ja! Er stieß die Faust in die Luft.
Während er die Christopher Street in Greenwich Village weiterging, wischte er sich Glasur von der Nase. Er trug eine schwarze Anzughose, ein gebügeltes weißes Hemd, rote Seidenhosenträger und eine offene rote Seidenkrawatte. Diese Aufmachung hatte er sich nach dem Mord an Wendy gekauft, um in dieser Straße nicht aufzufallen. Es funktionierte wie mit einem Tarnumhang.
Abgesehen von seiner Waffe in der Laptoptasche hätte er einer der vielen Wall-Street-Lakaien sein können, die nach einem arbeitsreichen Tag, den sie mit der Zerstörung der Weltwirtschaft zugebracht hatten, nach Hause gingen.
Trotz der Steckbriefe und den Videos, die das NYPD von ihm hatte, hatte er keine Angst. Er wusste, wie schwer es war, jemanden zu schnappen, der über die geeigneten Mittel verfügte, um genau das zu verhindern. Mit seiner Geldkarte, die ihm Zugriff auf Lawrence’ Knete verschaffte, hätte er ewig umherlaufen können, wenn er gewollt hätte. Wenn er nichts Dummes tat, würde er nie geschnappt werden.
Und Dummheit war das Letzte, was ihn auszeichnete.
Er war auf dem Weg zu seiner sicheren Wohnung in Turtle Bay, wo er sich auf das große Finale am Abend vorbereiten wollte. Er konnte kaum glauben, dass er fast fertig war. Nur noch ein Name musste von der Liste gestrichen werden. Nur noch ein Treffer, den er landen musste. Das Opfer? Echt der Hammer. Er freute sich darauf, weil dieser letzte Name für ihn gleichzeitig die größte Herausforderung von allen darstellte.
Auf der anderen Straßenseite erblickte er eine Bank und erinnerte sich, dass ihm das Bargeld ausging. Wie viel würde er brauchen? Zweihundert? Quatsch, drei. War ja nur Geld.
»Hey, Kumpel, wie wär’s mit ’nem Dollar?«, fragte jemand neben ihm, als er seine Karte in den Türöffner schob.
Er blickte auf und schüttelte lächelnd den Kopf. Er hatte schon weiße Straßenjungs mit Rastalocken gesehen, aber noch nie einen molligen Asiaten. Der kleine, chinesisch aussehende Typ hielt sogar eine sechssaitige Gitarre mit Jamaika-Flagge in der Hand.
New York war echt eine Reise wert. Man wusste nie, was als Nächstes passieren würde. Er würde die Stadt vermissen.
»Vielleicht, Kumpel. Wir werden sehen«, sagte Apt.
»Willkommen bei Ihrer Bank«, begrüßte ihn die Anzeige. »Bitte führen Sie Ihre Karte ein.«
»Aber gerne doch«, murmelte er.
Sein Konto spuckte tausend Dollar am Tag aus. Da er nicht jeden Tag einen Tausender auf den Kopf haute, mussten noch mehr als neuntausend auf seinem Konto sein.
An diesem Abend, nach getaner Arbeit, würde er Zugang zu einem Konto erhalten, auf dem noch viel mehr drauf war.
Acht Millionen, um genau zu sein.
Heute war sein großer Zahltag. Seine Abfindung. Der wahre Grund, warum er sich die unglaubliche Mühe
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