Todeswatt
Bendixen gefahren und hatten ihn erneut zu dem Leichenfund befragt. Doch viel mehr konnte der Mann, der Tags zuvor den Toten im Watt entdeckt hatte, nicht zu den Ermittlungen beitragen. Funke hatte sofort wieder die Bilder hervorgeholt und dem Zeugen unter die Nase gehalten, aber auch Bendixen, der ähnlich wie die Besitzerin der Pension beinahe fassungslos auf die Aufnahmen gestarrt hatte, kannte Arne Lorenzen nicht.
»Nee, den hab’ ich hier noch nie gesehen.«
Thamsen erhob sich vom Schreibtisch, nachdem ein erneutes Piepsen den Abschluss der Übertragung signalisiert hatte, und sammelte die Blätter vom Fußboden auf. Das Papier rollte sich hartnäckig und er hatte Mühe, die Seiten der Reihenfolge nach aufeinander zu legen.
»Ist das der Bericht aus Kiel?« Der Kollege betrat, zwei Kaffeebecher balancierend, das Büro.
Dirk Thamsen nickte.
»Zeig her.« Funke reichte ihm schwungvoll eine der Tassen. Dabei schwappte ein Schwall des heißen Getränks über die Blätter.
»Mensch, pass doch auf!« Ärgerlich riss Thamsen die Nachricht in die Höhe, aber sein Rettungsversuch kam bereits zu spät. Die Schrift auf der ersten Seite löste sich in den dunklen Flecken, welche die Hitze der Flüssigkeit auf dem Thermopapier verursachte, beinahe vollständig auf.
»’tschuldigung«, murmelte Funke schuldbewusst und trat mit gesenktem Kopf einen Schritt zurück, so als erwarte er eine gewaltige Standpauke. Die hätte Thamsen ihm am liebsten auch gehalten. Schon mehrere Male war ihm die unbeholfene Art des Kollegen aufgefallen und er hatte sich auch darüber geärgert, als der junge Beamte sich mit seinen unüberlegten Kommentaren in die Befragung von Jens Bendixen eingemischt hatte. Wie war der Mann überhaupt durch die Prüfungen der Polizeischule gekommen? Hatte er gar nichts über Verhörtaktiken und den Umgang mit Zeugen und Beweismaterial gelernt?
Thamsen seufzte leise und betrachtete das Ausmaß des kollegialen Malheurs.
»Also die erste Seite können wir gleich wegschmeißen.« Kopfschüttelnd sah er auf das Deckblatt der Nachricht, das zwischenzeitlich braun geworden war. Zum Glück enthielt es im Normalfall keine wesentlichen Informationen, sondern lediglich Angaben über den Absender, Empfänger und den Namen der obduzierten Leiche. Er setzte sich an den Schreibtisch und breitete die anderen Blätter nebeneinander aus. Hier und da zogen sich dunklere Streifen über das Papier, aber ansonsten war der Text zu entziffern.
»Was ist?«, forderte er Funke auf, der immer noch mitten im Raum stand und anscheinend auf Erlaubnis wartete, nähertreten zu dürfen. »Soll ich hier alles allein machen?« Thamsens Ärger über das Missgeschick des Kollegen war noch nicht verraucht. Außerdem fragte er sich seit geraumer Zeit, wo eigentlich der zweite Mitarbeiter der Dienststelle steckte. Immerhin war das hier ihr Fall und ihr Revier. Er sollte die Pellwormer Polizisten lediglich unterstützen.
»So, Tasse abstellen und Bericht lesen«, ordnete er an, während er sich abwartend zurücklehnte.
Funke räusperte sich, tat wie geheißen, und griff nach dem Bericht. Thamsen beobachtete ihn eingehend.
Natürlich wollte er wissen, wie die Ergebnisse der Obduktion ausgefallen waren. Allerdings war er diesbezüglich mittlerweile etwas entspannter. Seiner Einschätzung nach war Arne Lorenzen wahrscheinlich ermordet worden. Die Verletzungen, die der Tote aufwies und die auf den Bildern deutlich zu erkennen waren, hatten ihn zu diesem Schluss kommen lassen. Und während er Funkes Gesichtsausdruck studierte, der sich beim Lesen des Berichts in ein einziges Fragezeichen verwandelte, bestätigte sich diese Ahnung für ihn mehr und mehr. »Und?«, wollte er schließlich wissen, als sein Gegenüber endlich die Blätter leicht sinken ließ. Der ratlose Ausdruck verstärkte sich nochmals.
»Hier steht etwas von einer posttraumatischen intrazerebralen Blutung.«
*
Marlene wollte nach dem Essen einen Spaziergang machen. Sie war immer noch aufgewühlt von dem Gespräch am Vormittag und zusätzlich hatte die Nachricht des toten Bankers die Erinnerungen an den Tod ihrer Freundin wieder sehr präsent werden lassen.
»Ich wollte noch zu Matthiesen. Wegen der fehlenden Belege«, antwortete Tom auf ihre Frage, ob er sie begleite. Es tat ihm leid, sie allein gehen zu lassen, zumal er wusste, wie sehr der Verlust von Heike sie immer noch schmerzte. Aber die Frage nach der Differenz auf dem Konto seines Mandanten ließ ihm einfach
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