Todeswatt
Bestürzung seines Gegenübers schien echt, aber hatte Boltwig tatsächlich noch nichts von dem Mord an Arne Lorenzen gehört? Äußerst unwahrscheinlich. Das Nordfriesland Tageblatt hatte ausführlich über den Tod des Bankers berichtet und auch sonst sprach man vermutlich überall von nichts anderem. Aber die angebliche Fassungslosigkeit des Vermittlers konnte genauso gut anders begründet sein. Jemand aus seinem Team war ermordet worden und vielleicht sah er ein Motiv in der dubiosen Vorgehensweise der Berater. Obwohl, nach den bisherigen Ermittlungen ging Thamsen selbst davon aus, der Täter habe aus Rache für den erlittenen finanziellen Schaden getötet. Besonders Tom Meissners Kunde, dessen Firma nun aufgrund des Aktienverlustes pleite war, erschien ihm stark verdächtig. Leider hatte der Unternehmensberater keinen Namen genannt, aber er sollte ihn diesbezüglich noch einmal befragen. Bisher hatten sie keine konkrete Spur. Möglicherweise war der Täter innerhalb der Agentur zu finden. Das merkwürdige Verhalten des Vermittlers war jedenfalls auffällig.
Boltwig erholte sich langsam von dem Schock. Er räusperte sich und setzte sich gerade auf.»Haben Sie denn eine Ahnung, wer das getan haben könnte?« Er fragte nicht nach dem wie, wo oder wann und Thamsen vermutete, der schmierige Vertreter spielte ihm lediglich den Unwissenden vor. Er musste längst über den toten Banker Bescheid wissen, ansonsten hätte er nach Thamsens Gefühl andere Fragen gestellt. Darum hielt er sich mit seinen Auskünften eher bedeckt.
»Bisher haben wir nur vage Annahmen. Aber die Vermutung liegt nahe, der Mord könne etwas mit seiner Nebentätigkeit zu tun haben.«
Im Gesicht seines Gegenübers war nichts abzulesen. Boltwig hatte sich mittlerweile gut im Griff.
»Gab es in der letzten Zeit Auffälligkeiten oder Streit? Was für ein Mitarbeiter war Arne Lorenzen überhaupt?«
Der Vermittler lehnte sich leicht zurück. Er schien seine Ruhe wiedergefunden zu haben und legte sogar ein Grinsen an den Tag. »Der Arne war einer meiner besten Mitarbeiter, auch wenn das nicht das richtige Wort ist. Wir waren gut befreundet.« Zudem sei Arne Lorenzen Teilhaber gewesen. Boltwig erklärte Thamsen zunächst lang und breit das Konzept der Agentur. Jeder, den das Unternehmen beschäftigte, war gleichzeitig so etwas wie ein Teilhaber und arbeitete auf eigene Rechnung.
»Und was haben Sie dann davon?« Thamsen verstand nicht, womit der Vermittler sein Geld verdiente, denn er beriet nach eigenen Angaben keine Kunden. Wofür brauchte man ihn eigentlich?
Wieder zeigte Boltwig seine von Kaffee und Tabakrauch vergilbten Zähne. Er halte die Truppe zusammen. Bei jedem Abschluss bekäme er einen Teil der Provision.
»Da Sie die Kunden werben?«
»Nein, nein. Das ist ebenfalls Aufgabe der Berater. Die meisten haben bereits nach relativ kurzer Zeit einen festen Kundenstamm. Und um an Neukunden zu kommen, veranstalten manche kleinere Gewinnspiele. Wegen der Adressen.«
Thamsen nickte. Er kannte diese Art von Wettbewerben. Die Preisfragen waren meist keine wirklichen Rätsel und ein paar Tage, nachdem man die Teilnahmekarte ausgefüllt hatte, rief ein Vertreter von Zeitschriften oder Magazinen an und wollte einem ein Abonnement verkaufen. »Und sonst?« Er dachte an die Kunden der Bank, die Arne Lorenzen für seine Zwecke angesprochen hatte.
»Kaltakquise.«
»Kaltakquise?« Thamsen war der Begriff völlig unbekannt, aber Boltwig ließ ihn gern an seinem Fachwissen teilhaben.
Die Berater wählten Nummern aus dem Telefonbuch, erklärte er, und versuchten so, die Leute zu einem Beratungsgespräch zu überreden.
»Ist das denn erlaubt?« Thamsen war sich nicht sicher, ob man ohne triftigen Grund oder Einverständnis einfach Unbekannte zu Verkaufszwecken belästigen durfte.
Doch Boltwig zuckte nur mit den Schultern. Für ihre Vorgehensweise seien die Berater selbst verantwortlich.
»Aber Arne Lorenzens Zugang zu den Daten von Geldanlegern kam Ihnen sicherlich sehr entgegen, oder?«
Der Banker konnte aufgrund seines beruflichen Hintergrunds die besten Abschlusszahlen vorweisen. Das wollte Boltwig nicht leugnen. Er habe die Interessenten eben gut beraten. Immerhin verfügte er über das entsprechende Know-how. »Die Kunden fühlten sich bei ihm gut aufgehoben. Vertrauen ist schließlich die Basis solcher Geschäfte.«
Thamsen nickte. Generell konnte er das unterschreiben. In Geldangelegenheiten war man immer etwas vorsichtig, oft sogar
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