Todeszorn: Thriller (German Edition)
Weg zur Treppe zuckte sie zusammen, als ihr Handy klingelte.
»H allo«, hörte sie Armstrongs Stimme. »W o stecken Sie? Ich dachte, wir wollten zusammen zu Suzie Murray?«
Rebecca kniff die Augen zusammen. »S ie melden sich vor fünf, haben Sie gesagt. Jetzt ist es«, sie warf einen Blick auf ihre Uhr, »f ast sieben.«
»T ut mir leid. Ich hatte zu Hause ein bisschen Theater.«
»S ie sind verheiratet?«
»W ürde Sie das überraschen? Allerdings muss ich Sie enttäuschen. Ich bin nicht verheiratet, habe aber eine Freundin. Wo sind Sie denn nun?«
»S chon im Haus von dieser Murray. Ich gehe jetzt allein zu ihr.«
»M öchten Sie, dass ich nachkomme? Ich könnte in zehn Minuten da sein.«
»T un Sie, was Sie wollen, aber ich gehe jetzt zu ihrer Wohnung. So machen wir wenigstens mal einen ersten Schritt vorwärts. Es ist schon spät genug.«
»D ann gehen Sie schon mal vor. Ich werde gleich da sein.«
Rebecca steckte ihr Handy ein und ging weiter zu der Treppe am Ende des Flurs. Die schmutzigen grauen Wände setzten sich auch im nächsten Stock fort und wirkten allenfalls noch heruntergekommener.
Sie hatte gerade die erste Stufe betreten, als sie von oben Lärm hörte– als würde jemand schreien. Eine männliche Stimme. Sie lauschte, aber die Schreie hatten aufgehört. Sie war sich nicht sicher, von wo genau sie gekommen waren– vom Ende des Korridors im ersten Stock oder aus einer höheren Etage? Sämtliche Geräusche hallten von den Wänden wider und durch das ganze Treppenhaus, sodass ihr Ursprung unklar blieb.
Sie wartete einen Moment und setzte ihren Weg fort, als es still blieb. Die steinerne Treppe war von unzähligen Füßen, die sie seit der Errichtung des Gebäudes vor über hundert Jahren betreten hatten, glatt geschliffen. In der Mitte jeder Stufe war von den Schritten eine Delle entstanden. Rebecca erklomm vorsichtig die Treppe, ohne mit der einen Hand das Geländer loszulassen.
Als sie die oberste Etage fast erreicht hatte, vernahm sie ein weiteres Geräusch. Diesmal hörte es sich an wie ein dumpfer Schlag, gefolgt von einem unterdrückten Schluchzen. Es schien aus der Wohnung am Flurende zu kommen– von dort, wo Suzie Murray wohnen sollte. Und wo Joanna Lewski gelebt hatte.
Rebecca betrat den obersten Treppenabsatz, schaute den Gang hinunter und nahm die Tür an dessen Ende ins Visier. Daneben befand sich ein schmales Fenster, durch das schmutzig gelbes Licht von einer Straßenlaterne hereinsickerte.
Sie wartete, lauschte auf weitere Geräusche vom Ende des Flurs. Sie glaubte, jemanden flüstern zu hören, war sich dessen aber nicht sicher. Ein weiterer Schlag erklang, und diesmal kam er definitiv aus der Wohnung, die ihr Ziel war. Unwillkürlich wich sie zurück und überlegte kurz, ob es letzten Endes nicht doch besser wäre, auf Armstrong zu warten.
Während sie sich abwandte, um einen Blick die Treppe hinunterzuwerfen, entging ihr, dass die Tür zum dunklen Inneren von Suzie Murrays Wohnung leise geöffnet wurde.
Als sie sich ganz öffnete, hörte Rebecca hinter sich ein gedehntes Knarren und drehte sich um. Im Licht, das durch das Fenster fiel, sah sie den Umriss eines Mannes. Sein Gesicht war in der Finsternis des Treppenhauses kaum zu erkennen.
Sie vernahm etwas, das sich wie das Weinen einer Frau anhörte.
Der Mann rührte sich nicht.
Rebecca griff in ihre Tasche, holte ihren Dienstausweis hervor und hielt ihn dem Mann entgegen. »I ch bin Polizeibeamtin. Detective Constable Irvine von der Kriminalabteilung der Strathclyde Police.«
Ihre Stimme hörte sich selbstbewusster an, als sie sich fühlte. So war es ihr beigebracht worden– sich wie ein Bulle anzuhören, auch wenn man sich nicht so fühlte.
Der Mann wandte sich um und schaute nach hinten in die Wohnung. Sie betrachtete sein Profil– langes Haar, wulstige Stirn und die platte Nase eines Boxers. Plötzlich wurde ihr bewusst, wie groß und breitschultrig er war.
Sie wünschte sich, auf Armstrong gewartet zu haben.
Der Mann drehte sich wieder zu ihr um.
»Z iemlich schlechter Zeitpunkt«, sagte er und kam auf sie zu.
4
Rebecca hielt ihren Dienstausweis vor sich, als könne er ihr als Schild dienen. Der Mann kam immer näher. Sie trat einen Schritt zurück und spürte, wie ihr Fuß an der Kante der obersten Stufe abrutschte– hinter ihr ging es nur noch steil die Treppe hinab.
Der Mann stand fast vor ihr, war bloß noch drei Meter von ihr entfernt. Sie schob ihre freie Hand in ihre Tasche, tastete nach
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