Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi
könnte etwas darüber wissen? Ich hatte
berechtigte Zweifel daran, dass meine eigene Mutter den Mädchennamen meiner
Großmutter wusste. Aber dass darüber geschwiegen wurde, aus welcher Familie
meine Oma stammte, war wirklich mysteriös.
Warum nur wurde
ich plötzlich mit so vielen Geheimnissen konfrontiert, für deren Auflösung man
Zeit brauchte? Zeit, die ich nicht hatte. Oder war ich nur besonders
sensibilisiert für derartige Geschichten, weil ich mich ablenken wollte?
Die
Internetrecherche ergab, dass Steeken ein holländischer Name war. Wie überaus
hilfreich. Einbahnstraßen, wohin ich auch blickte. Entschlossen und durchaus in
dem Bewusstsein, dass ich mich nun gänzlich unmöglich machte, wählte ich die
Handynummer meiner Mutter. Ich hatte keine Lust, mir das Hirn zu zermartern,
während sie sich am Strand von Paguera mit einem fremden Mann vergnügte. Mit
beinahe siebzig Jahren. Vielleicht würde die Erinnerung an ihre Mutter der
Moral ganz guttun. Gott sei Dank wurde ich nicht alt genug, um diese
spießbürgerlichen Gedanken auch noch laut zu äußern, aber anrufen musste ich
sie.
Die Mailbox sprang
an, und ich verkündete: »Hallo Mutti, bitte ruf zurück. Es geht um dein
Rezept.« Dann zählte ich bis zehn und griff nach dem klingelnden Gerät auf
meinem Couchtisch.
»Wenn dieser
Provinzarzt sich jetzt anstellt und mir meine Medikamente nicht schicken will,
dann hat der meinen Blutdruck das letzte Mal gemessen. Sag ihm das, Michael.«
»Hallo, Mutti, das
Rezept ist unterwegs, reg dich nicht so auf, du hast schließlich deine
Medikamente nicht genommen. Aber weil ich dich schon mal dran habe, wieso hast
du mir nie erzählt, dass Oma zweimal geheiratet hat? Wie hieß sie denn mit
ihrem Mädchennamen?«
»Bist du noch bei
Sinnen, Michael? Was sollen diese Fragen?«
Gut, sie wollte
eine plausible Erklärung. Dann bekam sie jetzt die dramatische Variante. »Ich
habe jemandem von diesem sehr besonderen Kreuz erzählt, und nun ist der
Verdacht aufgekommen, dass deine Familie es auf illegalem Wege erworben haben
muss. Wie schon gesagt, eigentlich gehört es einer gewissen Familie Hovermann und
sollte sich auch in deren Besitz befinden.«
»So ein Blödsinn.
Harald, dreh den Sonnenschirm doch bitte etwas mehr nach links, ja, danke,
Schatz. Ich weiß den Mädchennamen meiner Mutter nicht. Frag mal die Schwester
deines Vaters, Gisela. Sie hat damals von meiner Mutter ein altes Buch über
Pflanzen bekommen. Da stand ihr Mädchenname vorne drin. Vielleicht hat Gisela
es ja noch, dann wird sie sich auch daran erinnern.« Meine Mutter lachte auf.
»Ich habe bei meiner Schwägerin immer das Gefühl, je mehr ihr Körper altert,
desto lebendiger wird ihr Geist. Eine gefährliche Entwicklung.«
Gisela Goldmann,
geborene Schubert, die ältere Schwester meines Vaters, musste jetzt in den
Achtzigern sein. Sie war schon lange verwitwet und lebte, soweit ich mich
erinnerte, bei ihrem Sohn im Haus. Ich hatte nicht die blasseste Ahnung, wie
sich der Gesundheitszustand meiner Tante in den letzten Monaten entwickelt
hatte und ob ein persönlicher Besuch bei ihr nicht besser wäre, doch dieser Tag
neigte sich dem Ende zu.
Ich suchte die
Nummer meines Cousins heraus. Frederic war im Kindesalter nicht der
schlechteste Spielgefährte gewesen, doch seit seiner Banklehre hatte er sich
derart verändert, dass ich die Verwandtschaft mit ihm in den letzten Jahren
stur geleugnet hatte. Es würde für mich immer ein Rätsel bleiben, wie er mit
den mathematischen Anforderungen seines Berufes zurechtkam. Früher hatte ich
ihm immer wieder erklären müssen, warum er nicht fünf Meerschweinchenbabys
verkaufen konnte, wenn sein Weibchen nur vier geworfen hatte. Heulend stand er
vor mir, weil er nicht das erwartete Geld bekommen hatte. »Freddy, du bekommst
das Geld nicht dafür, was du verkaufen wolltest, sondern nur für das, was du
tatsächlich liefern konntest.«
Kein Wunder, dass
die Moral sank, wenn so fähige Strategen Kredite vergaben und mit
Rentenverträgen lockten. Verheiratet war Freddy, wie ich ihn nun leider nicht
mehr nennen durfte, mit einer Frau, die zwar sehr lange Beine, aber so gut wie
kein Hirn besaß. Meine etwas brachiale Einschätzung beruht auf einem gemeinsam
verbrachten Tag, als ich meine Freizeit etwas nachlässig geplant hatte und
leider einer Einladung zum 115. Geburtstag gefolgt war. Frederic war vierzig
und meine Tante Gisela fünfundsiebzig geworden.
Dreimal klingelte
es, dann hob jemand ab. »Gina
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