Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi
Zeichnung
von Vincent van Gogh gelegen hat? Dem Vincent van
Gogh?«
»Ganz genau. Diese
Entdeckung habe ich schon vor Jahren gemacht, aber zu dem Zeitpunkt hatte ich
natürlich keine Ahnung, dass sich der gute Clemens so nahe bei uns befand. Ich
hielt die Zeichnung für verschollen, nachdem man Clemens Hovermann in die Verbannung
geschickt hatte.«
»Bis mein
gedankenloser Bruder meinte, unsere Familiengeheimnisse als Roman
veröffentlichen zu müssen.«
Ingo nickte
Cornelia zu. »So fügte sich zusammen, was zusammengehört. Mein Dank gilt Tante
Agathe, die mich bat, ihr diesen Roman vorzulesen. Was hat sie mir nicht alles
über die Familie erzählt! Manches berichtete sie natürlich zwei- oder dreimal,
aber ich hatte viel Zeit. Und das Buch schloss dann endlich eine Lücke.«
Ein beinahe
diabolisches Lächeln glitt über seine jungenhaften Züge.
»Und zum Dank
bekommt Agathe diesen Cocktail aus Arsen und Bösartigkeit?«
Ich warf Cornelia
einen mahnenden Blick zu. Wenn sie so weiterredete, würde Ingo sie noch mundtot
machen.
Der junge Mann
runzelte zwar die Stirn, aber das schien weniger ihrer Dreistigkeit zu gelten
als vielmehr dem Gedanken an Agathe. »Ich schätze die alte Dame sehr. Sie
bringt mitunter einige Dinge des Alltags durcheinander, aber sie weiß leider zu
viel. Sie könnte sich sehr leicht zusammenreimen, wie die Dinge gelaufen sind.«
Er betrachtete seine Fußspitzen.
»In meiner
Situation hat man nicht so viele Möglichkeiten, einen Treffer zu landen. Da
muss man die Gelegenheit ergreifen und, sagen wir, flexibel sein. Immerhin
reden wir über ein frühes Werk von Vincent van Gogh!«
Ich konnte nicht
glauben, dass ein Mitglied meiner Familie eiskalt Menschen ermordete und das
»Flexibilität« nannte. Zornig sagte ich: »Wir reden hier über Geld, viel Geld.
Das ist das niedrigste aller Mordmotive. Und jetzt lass uns gehen.«
Ich duzte ihn jetzt.
Erstens gehörte er nun zu meiner Familie, und zweitens konnte ich in Ingo nur
noch einen verwöhnten, egozentrischen Jungen sehen, der das alles offenbar für
eine prickelnde Episode hielt, die sein langweiliges Leben etwas spannender
machte.
Cornelia richtet
sich auf. »Warte mal, Michael. Ingo, kann ich es sehen, das Portrait von van
Gogh? Ist es überhaupt noch erhalten?«
Jetzt lachte Ingo
und bewegte seinen Rollstuhl einige Male vor und zurück. »Da kommt die
Historikerin durch, was? Die Zeichnung befand sich in einer Ledermappe,
zusammen mit persönlichen Dokumenten und einem Empfehlungsschreiben, damit
Clemens als Lehrling unterkommen konnte. Der arme Vater hatte an alles gedacht.
Keine Sorge, es ist alles gut erhalten, und ich habe sogar die Brosche bei Clemens
gefunden. Der Erhaltungszustand der Leiche ist erwartungsgemäß nicht so
besonders.«
Angewidert von
einer derartigen Kaltblütigkeit fuhr ich ihn zornig an: »Dann mach dich mit
deiner Beute auf und davon und lass uns endlich gehen. Die Polizei wird ohnehin
bald hier sein.«
Mit einem
merkwürdigen Ausdruck im Gesicht erwiderte Ingo auf meinen Ausbruch: »Das geht
aus verständlichen Gründen natürlich nicht. Sehen Sie, Michael, wenn man den
ausgebrannten Schuppen gelöscht und Ihrer beider Überreste identifiziert hat,
und hoffentlich auch das freigelegte Grab entdeckt, dann wird allen klar sein,
was sie da gefunden haben: Zwei Brandstifter, die leider ihrer eigenen
Ungeschicklichkeit zum Opfer gefallen sind.«
»Das können Sie
nicht machen.« Cornelias Stimme klang beinahe tonlos. Ihre Augen erinnerten
einmal mehr an erschrockene Kinderaugen, und mir krampfte sich der Magen
zusammen.
Trotz meiner
gefesselten Hände machte ich Anstalten, mich auf den verdammten Kerl zu
stürzen, aber Ingo klingelte kurz an einer dafür vorgesehen Schelle an seinem
Rollstuhl, und Pavlo betrat geschmeidig die Scheune. Ein fragender Blick, und
Ingo sagte: »Wir sind fertig, du kannst alles herrichten. Au
revoir , meine Lieben.«
Ein letztes
Knirschen der Räder, als der Rollstuhl über die Kante der Scheune fuhr, dann
verschwand einer meiner wiedergefundenen Verwandten erneut aus meinem Leben.
Pavlo begann,
einige der Strohballen vor die Tür zu stapeln.
Verzweifelt wandte
ich mich an den Mann, der vermutlich Pole war: »Hören Sie zu, Mann, wenn Sie
uns jetzt helfen, werden die Richter Ihre Taten in einem anderen Licht
betrachten. Sie können mildernde Umstände bekommen.«
Der Mann fuhr
unbeirrt mit seinen Vorkehrungen fort. Er sah mich hämisch an und sagte in
leidlichem Deutsch:
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