Todsünde
ruhig gestellt hätten ...«
»Wollen Sie damit sagen, dass die Panik ihre Herzattacke ausgelöst hat?«
»Damit hat es angefangen. Zuerst sind Blutdruck und Puls in die Höhe geschossen. Dann ist der Druck ganz unvermittelt gefallen, und die Arrhythmien haben eingesetzt. Wir haben zwanzig Minuten gebraucht, um ihren Rhythmus zu stabilisieren.«
»Was sagt ihr EKG?«
»Akuter Myokardinfarkt. Sie ist jetzt tief komatös. Keine Pupillenreaktion. Keine Reaktion auf starke Schmerzen. Sie hat mit ziemlicher Sicherheit einen irreversiblen Hirnschaden davongetragen.«
»Ist es nicht noch ein wenig früh für eine solche Aussage?«
»Ich bin Realist. Dr.Yuen hofft immer noch, sie durchzubringen, aber er ist ja auch Chirurg. Ihm ist daran gelegen, eine glänzende Statistik aufweisen zu können. Solange seine Patientin nur die OP überlebt, kann er sie als Erfolg verbuchen. Auch wenn sie nur noch dahinvegetiert.«
Maura trat näher ans Bett und musterte die Patientin stirnrunzelnd. »Warum ist sie so ödematös?«
»Wir haben sie während des Herzalarms mit Flüssigkeiten vollgepumpt, um ihren Blutdruck zu erhöhen. Deshalb sieht ihr Gesicht geschwollen aus.«
Maura blickte auf die Arme der Patientin und bemerkte mehrere erhabene, rötliche Quaddeln. »Das sieht mir ganz nach abklingender Nesselsucht aus. Welche Medikamente hat sie bekommen?«
»Den üblichen Cocktail, den wir bei Herzalarm verabreichen. Antiarrhythmika, Dopamin.«
»Ich glaube, Sie müssen ein chemisch-toxikologisches Screening veranlassen.«
»Wie bitte?«
»Es handelte sich schließlich um einen Herzstillstand mit unbekannter Ursache. Und dieser Ausschlag sieht mir sehr nach einer Medikamentenreaktion aus.«
»Wir machen normalerweise kein Screening, bloß weil ein Patient einen Herzanfall erleidet.«
»In diesem Fall sollten Sie aber eines veranlassen.«
»Wieso? Glauben Sie etwa, dass wir einen Fehler gemacht haben? Dass wir ihr etwas Falsches gegeben haben?« Er fühlte sich offenbar angegriffen; die Müdigkeit in seiner Stimme war einem zornigen Ton gewichen.
»Sie ist Zeugin eines Verbrechens«, erinnerte Maura ihn.
»Die einzige Zeugin.«
»Wir haben eine Stunde lang um ihr Leben gekämpft. Und jetzt deuten Sie an, dass Sie uns nicht vertrauen.«
»Hören Sie, ich will einfach nur gründlich sein.«
»Okay.« Er klappte die Krankenakte zu. »Ich werde das toxikologische Screening veranlassen – weil Sie’s nun mal so wollen.« Er ging hinaus.
Maura blieb an Ursulas Bett stehen und betrachtete die Nonne, deren Gesicht in den fahlen Schein einer Nachttischlampe getaucht war. Von dem üblichen Chaos, das nach einer Reanimation regelmäßig zurückblieb, war nichts zu sehen. Die leeren Spritzen und Ampullen, die sterilen Verpackungen, all das war bereits beseitigt worden. Die Brust der Patientin hob und senkte sich nur noch, weil mit jedem Zischen des Beatmungsgeräts Luft in ihre Lungen gepumpt wurde.
Maura zog ihre Pupillenleuchte aus der Tasche und leuchtete in Ursulas Augen.
Weder die linke noch die rechte Pupille reagierte auf den Lichteinfall.
Als sie sich aufrichtete, registrierte sie plötzlich, dass sie beobachtet wurde. Sie drehte sich um und war überrascht, Pater Brophy in der Tür stehen zu sehen.
»Die Schwestern haben mich angerufen«, sagte er. »Sie meinten, es sei wohl an der Zeit.«
Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, und Bartstoppeln bedeckten Wangen und Kinn. Wie üblich trug er seinen Priesterkragen und einen dunklen Anzug, doch zu dieser nachtschlafenden Stunde war sein Hemd zerknittert. Sie stellte sich vor, wie ihn der Anruf aus dem Schlaf gerissen hatte, wie er sich aus dem Bett gewälzt hatte und schlaftrunken in seine Kleider geschlüpft war. Wie er automatisch nach diesem Hemd gegriffen hatte, bevor er aus seinem warmen Schlafzimmer in die kalte Nacht aufgebrochen war.
»Möchten Sie, dass ich wieder gehe?«, fragte er. »Ich kann auch später wiederkommen.«
»Nein, kommen Sie doch bitte herein, Pater. Ich wollte nur noch einmal das Protokoll durchgehen.«
Er nickte und trat in die Kabine. Mit einem Mal kam ihr der Raum viel zu eng vor, die Situation zu intim.
Sie griff nach der Patientenakte, die Dr. Sutcliffe hatte liegen lassen. Als sie sich auf den Hocker neben dem Bett setzte, wurde sie sich plötzlich wieder ihres eigenen Geruchs bewusst, und sie fragte sich, ob Pater Brophy ihn ebenfalls wahrnahm. Victors Geruch. Den Geruch nach Sex. Während Pater Brophy mit leiser Stimme zu beten
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