Todsünde
dass etwas geschehen war, dass sie etwas Verbotenes getan hatte. Etwas Verbotenes und zugleich ungeheuer Aufregendes.
Über eisglänzende Straßen fuhr sie nach Hause und dachte dabei unentwegt an Pater Brophy und an Victor. Als sie das Haus verlassen hatte, war sie müde gewesen; doch jetzt war sie hellwach und angespannt, wie elektrisiert, und sie fühlte sich so lebendig wie seit Monaten nicht mehr.
Sie stellte den Wagen in der Garage ab und streifte den Mantel schon ab, während sie durch die Verbindungstür ins Haus ging. Und noch ehe sie das Schlafzimmer erreicht hatte, knöpfte sie bereits ihre Bluse auf. Victor schlief tief und fest; er merkte nicht, dass sie direkt neben ihm stand und sich auszog. In den letzten Tagen hatte er mehr Zeit in ihrem Haus als in seinem Hotelzimmer verbracht, und jetzt konnte sie sich ihr Bett schon nicht mehr ohne ihn vorstellen. Ihr Bett – und ihr Leben. Fröstelnd kroch sie zu ihm unter die herrlich warme Decke, und die Berührung ihrer kalten Haut weckte ihn.
Ein paar zärtliche Berührungen, ein paar Küsse, und schon war er hellwach und ebenso erregt wie sie.
Sie nahm ihn gierig in sich auf, trieb ihn an, und auch wenn sie unter ihm lag, war sie doch keineswegs die Unterlegene. Sie nahm sich ihre Lust, so wie er sich die seine nahm, und als sie bekommen hatte, was ihr zustand, stieß sie einen leisen Triumphschrei aus. Doch als sie die Augen schloss und spürte, wie er in ihr zum Höhepunkt kam, war es nicht nur Victors Gesicht, das sie vor ihrem inneren Auge erblickte, sondern auch das von Pater Brophy. Ein Vexierbild, das sich nicht festhalten ließ, das immer wieder hin und her kippte, bis sie nicht mehr wusste, wessen Gesicht sie vor sich hatte.
Beide – und keins von beiden.
17
Im Winter sind die klaren Tage die kältesten. Als Maura am Morgen die Augen aufschlug, blendete sie gleißendes Sonnenlicht auf weißem Schnee. Sie war froh, nach langer Zeit endlich wieder blauen Himmel zu sehen, doch der Wind war gnadenlos, und der Rhododendron vor ihrem Haus schien sich zu ducken wie ein frierender alter Mann und seine Blätter einzurollen, um sich vor der Kälte zu schützen.
Während der Fahrt zur Arbeit hielt sie sich mit Kaffee warm. Die Sonne blendete sie, und sie musste mit aller Macht gegen den Wunsch ankämpfen, umzukehren und gleich wieder nach Hause zu fahren. Sich mit Victor wieder im Bett zu verkriechen und den ganzen Tag dort zu verbringen, eng aneinander gekuschelt unter der warmen Decke. Am Abend zuvor hatten sie zusammen Weihnachtslieder gesungen, er in seinem volltönenden Bariton, sie in ihrem nicht ganz stimmsicheren Alt. Sie hatte versucht, die zweite Stimme zu singen, doch zusammen hatten sie sich einfach fürchterlich angehört, und am Ende hatten sie mehr gelacht als gesungen.
Und jetzt war es Morgen, und wieder sang sie vor sich hin, noch genauso falsch wie zuvor, aber nicht minder fröhlich, während sie an girlandengeschmückten Straßenlaternen vorüberfuhr, an den bunt dekorierten Schaufenstern der Kaufhäuser mit ihren festlichen Glitzerkleidern. Die Weihnachtsdekoration war natürlich schon vor Wochen aufgehängt worden, doch sie hatte sie einfach nicht wahrgenommen. Wann hatte die Stadt je so festlich ausgesehen? Wann hatte der Sonnenschein je so hell auf dem Schnee geglitzert?
Lasst uns froh und munter sein.
Als sie das Rechtsmedizinische Institut in der Albany Street betrat, sah sie im Flur in großen, glänzenden Lettern die Worte Friede auf Erden prangen.
Louise blickte auf, als sie zur Tür hereinkam, und lächelte sie an. »Sie sehen heute richtig glücklich aus.«
»Ich freue mich einfach, endlich mal wieder die Sonne zu sehen.«
»Genießen Sie das Wetter, solange es noch hält. Angeblich soll es morgen schon wieder schneien.«
»Gegen Schnee an Heiligabend hätte ich gar nichts einzuwenden.« Sie nahm sich eine Hand voll Pralinen aus der Schale auf Louises Schreibtisch. »Was steht denn heute so an?«
»In der Nacht haben wir nichts Neues reinbekommen. So kurz vor Weihnachten will anscheinend niemand sterben. Dr. Bristol hat um zehn eine Gerichtsverhandlung und könnte danach gleich nach Hause fahren, wenn Sie für ihn die Anrufe annehmen würden.«
»Wenn nicht allzu viel los ist, würde ich vielleicht gerne selbst früher Feierabend machen.«
Louise zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Um sich ein bisschen zu amüsieren, hoffe ich doch?«
»Darauf können Sie Gift nehmen«, erwiderte Maura lachend. »Ich gehe
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