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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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mit festem Schritt entgegen.
    »Aufgrund der makroskopischen anatomischen Befunde sowie der dokumentierten Hypertonie des Verstorbenen gelange ich zu dem Schluss, dass eine natürliche Todesursache vorliegt. Die wahrscheinlichste Abfolge der Ereignisse lautet: Akuter Myokardinfarkt innerhalb von vierundzwanzig Stunden vor Eintritt des Todes, gefolgt von einer ventrikulären Arrhythmie als terminales Ereignis. Vermutliche Todesursache: letale Arrythmie infolge akuten Myokardinfarkts. Diktiert von Dr. med. Maura Isles, Rechtsmedizinisches Institut, Staat Massachusetts.«
    Maura schaltete das Diktiergerät aus und betrachtete nachdenklich die vorgedruckten Diagramme, in denen sie die besonderen Merkmale von Mr. Samuel Knights Leiche festgehalten hatte. Die alte Blinddarmnarbe. Die Totenflecke am Gesäß und an der Unterseite der Oberschenkel; dort, wo sich in den Stunden, die er leblos auf seinem Bett gesessen hatte, das Blut angesammelt hatte. Keine Zeugen waren in Mr. Knights letzten Stunden in seinem Hotelzimmer zugegen gewesen, aber Maura konnte sich dennoch vorstellen, wie er sie erlebt hatte. Das plötzliche Flattern in der Brust. Vielleicht ein paar Sekunden der Panik, als ihm klar wird, dass es sein Herz ist, das da flattert. Und dann schwinden ihm allmählich die Sinne, ihm wird schwarz vor Augen. Du warst einer der leichteren Fälle, dachte sie. Ein knappes Diktat, und sie konnte Mr.Knight vergessen. Ihre kurze Bekanntschaft würde mit Mauras Unterschrift unter dem Autopsiebericht enden.
    Weitere Berichte stapelten sich in ihrem Eingangskorb, abgetippte Diktate, die sie durchzusehen und zu unterschreiben hatte. Und im Kühlraum wartete schon eine neue Bekannte auf sie: Camille Maginnes, deren Autopsie für neun Uhr am nächsten Morgen angesetzt war, wenn Rizzoli und Frost anwesend sein konnten. Während Maura die Berichte durchblätterte und Korrekturen an den Rand notierte, verweilten ihre Gedanken bei Camille. Die Kälte, die sie am Morgen in der Kapelle gespürt hatte, saß ihr noch in den Knochen, und sie behielt ihren Pullover an, während sie am Schreibtisch arbeitete. Allein die Erinnerung an den Besuch im Kloster ließ sie frösteln.
    Sie stand auf, um zu fühlen, ob ihre Hose, die sie über den Heizkörper gehängt hatte, schon trocken war. Nun ja, einigermaßen, dachte sie. Rasch löste sie die Kordel der OP-Hose, die sie den ganzen Nachmittag über getragen hatte, und zog sich um.
    Dann ließ sie sich wieder in ihren Sessel sinken und saß eine Weile einfach nur da, den Blick auf einen der Blumendrucke an ihrer Bürowand gerichtet. Als Ausgleich für ihren unerfreulichen Job hatte sie ihr Arbeitszimmer mit Dingen geschmückt, die an das Leben und nicht an den Tod erinnerten.
    In der Ecke stand ein Ficus, der unter der aufmerksamen Pflege von Maura und ihrer Sekretärin Louise prächtig gedieh. Und an der Wand hingen gerahmte Abbildungen von Blumen: ein Strauß aus weißen Pfingstrosen und blauen Schwertlilien, eine Vase mit Gartenrosen, die Blüten so üppig gefüllt, dass die Stängel sich unter dem Gewicht bogen. Wenn der Aktenstapel auf ihrem Schreibtisch zu hoch wurde, wenn die Atmosphäre des Todes zu schwer auf ihr lastete, dann blickte sie zu diesen Bildern auf und dachte an ihren Garten, an den Duft des fetten Mutterbodens und das leuchtende Grün des Rasens im Frühling. Dann dachte sie an Wachstum und Fruchtbarkeit, nicht an Sterben und Verwesung.
    Aber nie war ihr der Frühling so fern erschienen wie an diesem Dezembertag. Immer noch prasselte der Eisregen an die Scheibe, und ihr graute beim Gedanken an die Heimfahrt. Sie fragte sich, ob die Straßen schon gestreut waren, oder ob es da draußen immer noch zuging wie in einem Eishockeystadion, mit Autos anstelle von Pucks.
    »Dr. Isles«, ertönte Louises Stimme aus der Gegensprechanlage.
    »Ja?«
    »Da ist ein Gespräch für Sie auf Leitung eins – ein gewisser Dr. Banks.«
    Maura stockte der Atem. »Etwa ... Dr. Victor Banks?«, fragte sie leise.
    »Ja. Er sagte, er sei von der Hilfsorganisation ›One Earth International‹.«
    Maura erwiderte nichts. Den Blick starr auf den Hörer gerichtet, verharrte sie reglos wie eine Statue. Das Ticken des Eisregens am Fenster nahm sie nicht mehr wahr, hörte nur noch das Pochen ihres eigenen Herzens.
    »Dr. Isles?«
    »Ist es ein Ferngespräch?«
    »Nein. Er hat vorher schon mal angerufen und eine Nachricht hinterlassen. Er wohnt im Hotel Colonnade.«
    Maura schluckte. »Ich kann das Gespräch

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