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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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dass sie kaum registriert hatte, wie die Feiertage verflogen waren. Und was hast du diesmal für eine Entschuldigung parat?, fragte sie sich. Es blieb ihr nur noch eine Woche Zeit, den Baum zu kaufen, die Dekoration aufzuhängen und vielleicht ein paar Plätzchen zu backen. Immerhin könnte sie ja ein paar Weihnachtslieder auf dem Klavier spielen, wie sie es als Kind immer getan hatte. Das Buch mit den Noten musste noch im Klavierschemel sein; sie hatte es nicht mehr hervorgeholt, seit ...
    Seit meinem letzten Weihnachten mit Victor.
    Ihr Blick fiel auf das Telefon auf dem Beistelltisch. Sie konnte den Sherry schon spüren, und sie wusste, dass bei jeder Entscheidung, die sie jetzt traf, der Alkohol ein Wort mitreden und sie zum Leichtsinn verführen würde.
    Dennoch griff sie zum Hörer. Während sie zu seinem Zimmer durchgestellt wurde, starrte sie in den Kamin und dachte: Das ist ein Fehler. Es wird mir nur das Herz brechen.
    »Maura?«, meldete er sich. Obwohl sie noch kein Wort gesprochen hatte, wusste er, dass der Anruf nur von ihr kommen konnte.
    »Ich weiß, es ist schon spät«, sagte sie. »Es ist erst halb elf.«
    »Trotzdem, ich hätte nicht anrufen sollen.«
    »Und warum hast du es dann getan?«, fragte er leise.
    Anstatt gleich zu antworten, schloss sie die Augen. Sie sah die Flammen immer noch vor sich. Auch wenn du nicht hinschaust, auch wenn du so tust, als wäre es nicht da, brennt das Feuer dennoch weiter. Die Flammen sind da, ob du sie siehst oder nicht.
    »Ich dachte mir, es wird allmählich Zeit, dass ich aufhöre, dir aus dem Weg zu gehen«, sagte sie. »Das lenkt mich nur davon ab, mein eigenes Leben in den Griff zu bekommen.«
    »Na, das ist ja ein sehr schmeichelhafter Grund, mich anzurufen.«
    Sie seufzte. »Ich habe es vielleicht ein bisschen ungeschickt formuliert.«
    »Ich glaube, was du mir sagen willst, lässt sich einfach nicht freundlich formulieren. Das Mindeste, was du tun könntest, wäre, es mir persönlich zu sagen. Und nicht am Telefon.«
    »Wäre das freundlicher?«
    »Es wäre auf jeden Fall sehr viel mutiger.« Eine Provokation. Er zog ihren Mut in Zweifel.
    Sie setzte sich im Sessel auf und blickte wieder ins Feuer.
    »Wieso wäre das für dich ein Unterschied?«
    »Lass uns doch ehrlich sein – wir müssen beide die Vergangenheit hinter uns lassen. Aber wir kommen nicht vom Fleck, weil wir beide nicht begreifen, was eigentlich schief gelaufen ist. Ich habe dich geliebt, und ich glaube, dass du mich auch geliebt hast, aber was ist daraus geworden? Wir können noch nicht einmal mehr Freunde sein. Sag mir, woran das liegt. Warum können zwei Menschen, die immerhin mal miteinander verheiratet waren, nicht wie zivilisierte Menschen miteinander reden? Mit anderen Leuten können wir das doch auch.«
    »Weil du nicht irgendjemand bist.« Weil ich dich einmal geliebt habe.
    »Das kann doch nicht so schwer sein, oder? Sich einfach hinzusetzen und zu reden. Um endlich die Geister der Vergangenheit zu begraben. Ich bin nur für kurze Zeit in der Stadt. Es ist eine einmalige Gelegenheit. Jetzt oder nie – entweder verstecken wir uns weiter voreinander, oder wir gehen offen miteinander um und reden über das, was passiert ist. Gib mir die ganze Schuld, wenn du willst. Ich gestehe, mir steht eine gehörige Portion davon zu. Aber hören wir doch auf, so zu tun, als ob der andere gar nicht existiert.«
    Sie betrachtete ihr leeres Sherryglas. »Wo sollen wir uns treffen?«
    »Ich könnte gleich vorbeikommen.«
    Durch das Fenster sah sie die Lichter der Weihnachtsdekoration von gegenüber plötzlich erlöschen – statt fröhlich funkelnder Eiszapfen nur noch Dunkelheit und Schneetreiben. Eine Woche bis Weihnachten, und noch nie im Leben hatte sie sich so einsam gefühlt.
    »Ich wohne in Brookline«, sagte sie.

7
    Sie sah die Scheinwerfer seines Wagens durch das Schneegestöber näher kommen. Auf der Suche nach ihrer Hausnummer fuhr er im Schritttempo die Straße entlang und hielt schließlich vor ihrer Einfahrt an. Hast du auch deine Zweifel, Victor?, dachte sie. Fragst du dich auch, ob das Ganze nicht ein Fehler ist, ob du nicht kehrtmachen und in die Stadt zurückfahren solltest?
    Er parkte am Straßenrand und stellte den Motor ab.
    Maura trat vom Fenster zurück und blieb reglos im Wohnzimmer stehen. Ihr Herz pochte, ihre Hände waren schweißnass. Das Läuten der Türglocke ließ sie zusammenfahren. Sie war nicht darauf vorbereitet, ihm gegenüberzutreten, doch nun war er da, und sie

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