Todsünde
sie mir, ich soll mir die Hände waschen, weil ich ein schmutziges kleines Mädchen bin. Aber sie selber wäscht sich nicht die Hände, und dabei hat sie Popel an den Fingern.«
»Du verdirbst mir den Appetit, Kleine.«
»Und da hab ich sie gefragt, warum sie sich nicht die Popel abwäscht, und da ist sie ganz böse geworden. Sie hat gesagt, ich würde zu viel reden. Das hat Schwester Ursula auch gesagt, weil ich gefragt hab, warum die Frau keine Finger hat, und da hat sie gesagt, ich soll still sein. Und meine Mama sagt mir immer, ich soll mich entschuldigen. Sie sagt, sie müsste sich für mich schämen. Weil ich mich immer irgendwo rumtreibe, wo ich nichts verloren hab.«
»Okay, okay«, unterbrach sie Rizzoli und zog ein Gesicht, als bekäme sie einen Migräneanfall. »Das ist alles wirklich sehr interessant. Aber weißt du, was ich wirklich gerne hören würde?«
»Was denn?«
»Was du in Camilles Zimmer gesehen hast. Durch dieses Guckloch. Du hast doch da durchgeschaut, nicht wahr?«
Noni starrte wieder auf ihren Schoß. »Kann sein.«
»Ja oder nein?«
Diesmal war die Antwort ein gehorsames Nicken. »Ich wollte bloß sehen ...«
»Was wolltest du sehen?«
»Was sie unter ihren Kleidern anhaben.«
Maura musste sich beherrschen, um nicht laut loszulachen. Sie musste an ihre Jahre in der Klosterschule denken, als auch sie sich die Frage gestellt hatte, was die Schwestern wohl unter ihrer Tracht trugen. Die Nonnen waren ihr so rätselhaft erschienen, fremdartige Wesen, die ihre Körperformen unter wallenden schwarzen Gewändern vor neugierigen Blicken verbargen. Was trug eine Braut Christi auf der nackten Haut? Sie hatte sich hässliche lange Unterhosen vorgestellt, die bis zum Nabel reichten, Baumwoll-BHs, die möglichst stark verhüllen und verkleinern sollten, oder dicke Strümpfe, die sich wie Wurstpellen über Beine mit hervorstehenden blauen Krampfadern rollten. Sie hatte sich Körper vorgestellt, die in Lage um Lage schlichten Baumwollstoffs eingewickelt waren. Und dann hatte sie eines Tages beobachtet, wie Schwester Lawrencia, die mit dem verkniffenen Mund, beim Treppensteigen den Saum ihrer Tracht gelüpft hatte, und darunter hatte ein Stück scharlachroten Stoffs aufgeblitzt. Nicht einfach nur ein roter Unterrock, nein – ein rotglänzender Seidenunterrock! Nach diesem Erlebnis hatte sie Schwester Lawrencia wie überhaupt alle Nonnen mit gänzlich neuen Augen betrachtet.
»Weißt du«, sagte Rizzoli und rückte näher an das Mädchen heran, »ich habe mich auch immer schon gefragt, was sie eigentlich unter ihrer Tracht tragen. Hast du es gesehen?«
Noni schüttelte ernst den Kopf. »Sie hat ihre Kleider nie ausgezogen.«
»Nicht mal, wenn sie ins Bett gegangen ist?«
»Ich muss doch nach Hause, ehe die Nonnen ins Bett gehen. Das hab ich nie gesehen.«
»Also gut, was hast du denn gesehen? Was hat Camille gemacht, wenn sie ganz allein dort oben in ihrem Zimmer war?«
Noni verdrehte die Augen, als ob so eine banale Beobachtung kaum der Rede wert wäre. »Sie hat geputzt. Die ganze Zeit. Sie war eine richtige Putzfrau. «
Maura dachte an den blitzsauberen Boden, die bis auf das blanke Holz durchgescheuerten Dielen.
»Was hat sie sonst noch getan?«
»Sie hat ihr Buch gelesen.«
»Und sonst?« Noni hielt kurz inne, bevor sie antwortete: »Sie hat viel geweint.«
»Weißt du, warum sie geweint hat?«
Das Mädchen biss sich auf die Unterlippe und dachte angestrengt nach. Plötzlich hellte sich ihre Miene auf. »Weil sie so traurig war wegen Jesus.«
»Wie kommst du darauf?«
Das Mädchen seufzte genervt. »Weißt du denn nicht, dass Jesus am Kreuz gestorben ist?«
»Vielleicht hat sie ja wegen etwas anderem geweint.«
»Aber sie hat ihn die ganze Zeit angeguckt. Er hängt doch bei ihr an der Wand.«
Maura dachte an das Kruzifix, das über Camilles Bett hing. Und vor ihrem geistigen Auge sah sie die junge Novizin vor diesem Kreuz knien und beten ... Aber um was? Um Vergebung ihrer Sünden? Erlösung von den Folgen? Doch mit jedem Monat war das Kind in ihrem Leib größer geworden, und sie hatte gespürt, wie es sich bewegt hatte. Wie es sie mit seinen kleinen Füßchen getreten hatte. Auch noch so viel inbrünstiges Beten und rastloses Schrubben konnte sie von dieser Schuld nicht reinwaschen.
»Sind wir jetzt fertig?«, fragte Noni.
Rizzoli lehnte sich mit einem Seufzer zurück. »Ja, Kleine. Wir sind fix und fertig. Du kannst wieder zu deiner Mama gehen.«
Das Mädchen sprang
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