Todsünde
konnte ihn doch nicht einfach draußen in der Kälte stehen lassen.
Es läutete wieder.
Sie ging hin und öffnete die Tür. Schneeflocken wirbelten herein. Sie funkelten auf seiner Jacke, glitzerten in seinen Haaren und in seinem Bart. Es war ein klassischer Moment – der Ex-Lover, der auf ihrer Türschwelle stand und mit hungrigem Blick ihr Gesicht erforschte –, und weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte, sagte sie einfach nur:
»Komm rein.« Kein Kuss, keine Umarmung, nicht einmal eine flüchtige Berührung.
Er trat ein und streifte seine Jacke ab. Als Maura sie aufhängte, stieg ihr der vertraute Geruch des Leders – Victors Geruch – in die Nase, und das schnürte ihr die Kehle zu. Sie schloss den Wandschrank und wandte sich zu ihm um.
»Möchtest du was trinken?«
»Wie wär’s mit einem Kaffee?«
»Echten Bohnenkaffee?«
»Es ist gerade mal drei Jahre her, Maura. Musst du mich das wirklich fragen?«
Nein, das musste sie nicht. Stark und schwarz, so hatte er seinen Kaffee schon immer gemocht. Ein verstörendes Déjà-vu-Gefühl beschlich sie, als sie ihn in die Küche führte und die Tüte mit Kaffeebohnen der Marke Mt. Sutro Roasters aus dem Gefrierschrank nahm. In San Francisco hatten sie immer nur diesen Kaffee getrunken, und auch heute noch ließ sie sich alle vierzehn Tage eine Tüte von ihrem dortigen Händler zuschicken. Ehen mochten zu Ende gehen, aber auf manche Dinge konnte man einfach nicht verzichten. Während sie die Bohnen mahlte und die Kaffeemaschine einschaltete, registrierte sie, wie er sich langsam in ihrer Küche umsah. Sein Blick schweifte über den Gefrierschrank aus rostfreiem Stahl, den Viking-Herd und die Arbeitsflächen aus schwarzem Granit. Sie hatte die Kücheneinrichtung erneuert, gleich nachdem sie das Haus gekauft hatte, und es erfüllte sie mit einem gewissen Stolz, dass er nun in ihrem Reich stand, dass sie sich alles, was er hier sah, mit ihrer eigenen harten Arbeit verdient hatte. In dieser Hinsicht war ihre Scheidung relativ unproblematisch gewesen; sie hatten gegenseitig keinerlei Ansprüche gestellt. Nach nur zwei Jahren Ehe hatte jeder sich einfach wieder das genommen, was ihm gehörte, und war seiner Wege gegangen. Das Haus gehörte ihr ganz allein, und jeden Abend, wenn sie über die Schwelle trat, wusste sie, dass alles noch dort sein würde, wo sie es gelassen hatte. Dass jedes Möbelstück, jeder Einrichtungsgegenstand von ihr selbst ausgesucht und gekauft war.
»Sieht aus, als hättest du dir endlich deine Traumküche geleistet«, sagte er.
»Ich bin sehr froh damit.«
»Aber sag mal ehrlich, schmeckt das Essen denn wirklich besser, wenn es auf einem Luxusherd mit sechs Kochplatten zubereitet ist?«
Der sarkastische Unterton seiner Bemerkung missfiel ihr, und sie konterte gereizt: »Allerdings, ob du’s glaubst oder nicht. Und es schmeckt auch besser, wenn man es auf Richard-Ginori-Porzellan serviert.«
»Was ist denn aus den guten alten IKEA-Tellern geworden?«
»Ich habe einfach beschlossen, es mir gut gehen zu lassen, Victor. Ich habe kein schlechtes Gewissen mehr, wenn ich Geld verdiene und es auch ausgebe. Das Leben ist zu kurz, um immer nur wie ein Hippie zu leben.«
»Ich bitte dich, Maura. Hast du es denn wirklich so empfunden, das Leben mit mir?«
»Bei dir hatte ich immer gleich das Gefühl, die hehre Sache zu verraten, wenn ich mir mal ein bisschen was Extravagantes geleistet habe.«
»Welche Sache?«
»Für dich war doch alles eine Frage des sozialen Gewissens. In Angola verhungern die Leute, also ist es eine Sünde, sich edle Bettwäsche zu kaufen. Oder ein Steak zu essen. Oder einen Mercedes zu besitzen.«
»Ich dachte, du hättest auch daran geglaubt.«
»Weißt du was, Victor? Allzu viel Idealismus ist auf die Dauer ermüdend. Ich schäme mich nicht für das Geld, das ich besitze, und ich weigere mich, ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich es ausgebe.«
Sie schenkte ihm Kaffee ein und fragte sich, ob er sich wohl der Ironie der Situation bewusst war: Er, der Mt.-Sutro-Kaffee-Junkie, schlürfte ein Getränk aus Bohnen, die quer durch das ganze Land transportiert worden waren. Und auf der Tasse, in der sie ihm den Kaffee servierte, prangte das Logo einer Pharmafirma. Dennoch nahm er seine Tasse schweigend entgegen. Erstaunlich zahm für einen Mann, der immer so von Idealismus getrieben gewesen war.
Es war genau diese Leidenschaftlichkeit gewesen, durch die sie zuerst auf ihn aufmerksam geworden war. Sie hatten sich
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