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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Leiche geblickt hatte, da hatte sie nur rohes Fleisch gesehen, gehäutet und anschließend durch die Zähne der hungrigen Nager noch weiter verwüstet. Aber die Gesichtsknochen darunter waren merkwürdig intakt, bis auf die Spitze des Nasenbeins, die abgebrochen war, als der Mörder sich seine grausige Trophäe heruntergerissen hatte.
    »Die Schneidezähne fehlen«, bemerkte Sleeper. »Sie glauben doch nicht, dass er die auch mitgenommen hat?«
    »Nein. Das sieht mir eher nach atrophischen Veränderungen aus. Und das ist es, was mich so überrascht.«
    »Wieso?«
    »Solche Veränderungen treten gewöhnlich bei Menschen mit schlechtem Gebiss im fortgeschrittenen Alter auf. Aber das passt nicht zu einer Frau, die ansonsten einen recht jungen Eindruck macht.«
    »Wie können Sie das sagen? Sie hat schließlich kein Gesicht mehr.«
    »Die Röntgenaufnahme der Wirbelsäule zeigt keine Anzeichen der üblichen degenerativen Veränderungen, die zum Alterungsprozess gehören. Sie hat auch keine grauen Haare, weder am Kopf noch im Schambereich. Und keine Hornhauttrübung.«
    »Wie alt schätzen Sie sie?«
    »Ich hätte gesagt, nicht älter als vierzig.« Maura betrachtete die Röntgenaufnahmen. »Aber diese Aufnahmen scheinen eher zu einer älteren Frau zu passen. Ich habe noch nie einen so schweren Fall von Knochenresorption gesehen, schon gar nicht bei einer jungen Frau. Sie hätte gar keine Zahnprothese tragen können, selbst wenn sie es sich hätte leisten können. Diese Frau war aber offensichtlich überhaupt nicht in zahnärztlicher Behandlung.«
    »Dann gibt es wohl auch keine Röntgenaufnahmen des Kiefers, die wir zu Vergleichszwecken heranziehen könnten.«
    »Ich schätze, dass diese Frau seit Jahrzehnten bei keinem Zahnarzt gewesen ist.«
    Sleeper seufzte. »Keine Fingerabdrücke. Kein Gesicht. Keine Zahnarztunterlagen. Wir werden sie nie identifizieren können. Und das hat der Täter wohl auch bezweckt.«
    »Aber das erklärt noch nicht, warum er ihr auch die Füße abgeschnitten hat«, sagte sie, ohne den Blick von der Aufnahme des namenlosen Schädels am Leuchtkasten zu wenden. »Ich glaube, seine Motive waren andere. Vielleicht wollte er seine Macht demonstrieren. Oder es war schiere Raserei. Wer einer Frau das Gesicht abreißt, tut mehr, als sich nur eine Trophäe zu nehmen. Er raubt ihr ihre Identität. Ihre Seele.«
    »Also, der Typ muss ja schon ziemlich verzweifelt gewesen sein«, meinte Crowe. »Wer will denn schon eine zahnlose Frau mit ekligen Geschwüren am ganzen Leib? Wenn er Gesichter sammelt, sollte man doch meinen, dass er sich eine aussucht, die sich ein bisschen besser über dem Kamin macht.«
    »Vielleicht hat er ja erst angefangen«, sagte Sleeper leise. »Vielleicht war das sein erster Mord.« Maura wandte sich zum Tisch um. »Fangen wir an.« Während sich Sleeper und Crowe ihre Schutzmasken umbanden, zog sie das Laken zurück. Starker Verwesungsgeruch schlug ihr entgegen. Am Abend hatte sie Glaskörperflüssigkeit für die Bestimmung der Kaliumkonzentration entnommen, und das Resultat verriet ihr, dass das Opfer rund sechsunddreißig Stunden vor seiner Entdeckung verstorben war. Die Totenstarre hatte sich noch nicht gelöst, die Gliedmaßen ließen sich nur mit Mühe bewegen. Trotz der Kühlhaustemperaturen am Fundort hatte der Verwesungsprozess bereits eingesetzt. Die Bakterien hatten ihr Werk begonnen, organische Verbindungen zersetzt und dadurch Gase entstehen lassen, welche die Hohlräume des Körpers aufblähten. Die Kälte hatte diesen V organg nur verlangsamt, aber nicht zum Erliegen gebracht.
    Obwohl sie das zerstörte Gesicht bereits kannte, schockierte der Anblick sie aufs Neue, ebenso wie der des Hautausschlags, der im hellen Licht des Autopsiesaals ganz deutlich zu sehen war – als Ansammlung dunkler, entzündeter Knötchen, durchsetzt mit Rattenbissen. Im Vergleich mit diesen Verwüstungen nahm sich die Schusswunde eher harmlos aus – nur eine kleine Eintrittsöffnung links vom Brustbein. Glaser-Munition war so konstruiert, dass die Gefahr von Querschlägern möglichst gering war, die inneren Verletzungen nach dem Eindringen des Geschosses in den Körper jedoch umso schwerwiegender. Nachdem der Kupfermantel die Haut glatt durchschlagen hat, explodieren die darin enthaltenen Bleikügelchen mit verheerender Wirkung. Wer nur das kleine, runde Loch in der Brust der Leiche sah, konnte nicht ahnen, was der Schuss im Inneren des Thorax angerichtet hatte.
    »Was ist denn nun mit

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