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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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drückte auf einen Schalter. Das Licht flackerte auf, und schemenhafte Umrisse von Rippen, Wirbelsäule und Becken wurden sichtbar. Über den Rumpf verstreut waren helle, metallisch aussehende Punkte zu erkennen, die sich wie eine kleine Galaxie über Herz und Lungen erstreckten.
    »Sieht mir nach einer Schrotladung aus«, meinte Sleeper.
    »Das habe ich zuerst auch gedacht«, erwiderte Maura.
    »Aber wenn Sie genauer hinschauen, erkennen Sie hier gleich neben dieser Rippe einen opaken Schatten. Sehen Sie ihn? Er wird von der Kontur der Rippe fast verdeckt.«
    »Metallmantelgeschoss?«, fragte Crowe. »So scheint es mir jedenfalls.«
    »Es war also keine Schrotpatrone.«
    »Nein. Das sieht eher nach Glaser-Munition aus. Nach der Anzahl der Projektile zu urteilen, die ich hier erkennen kann, handelt es sich wahrscheinlich um ein Blue-Tip-Geschoss – Kupfermantel, gefüllt mit 12er Schrot.«
    Glaser-Munition ist so konstruiert, dass sie weit verheerendere Schäden anrichtet als konventionelle Geschosse. Die Patrone dringt als Ganzes in den Körper ein und explodiert anschließend. Noch ehe Maura den Rumpf aufgeschnitten hatte, wusste sie schon, welche Verwüstungen dieser eine Schuss hinterlassen hatte.
    Sie nahm die Brustaufnahmen ab und heftete zwei neue Filme an den Kasten. Die Wirkung dieser Bilder war viel schockierender als die der ersten, und zwar wegen der Teile, die fehlten. Sie blickten auf die Röntgenaufnahmen des rechten und linken Unterarms. Elle und Speiche, die beiden langen Knochen des Unterarms, reichen normalerweise vom Ellenbogen bis zum Handgelenk, wo sie mit den wie kleine Kieselsteine geformten Handwurzelknochen verbunden sind. Doch diese Armknochen endeten abrupt im Nichts.
    »Die linke Hand wurde hier abgetrennt – genau an der Stelle, wo der Griffelfortsatz der Speiche und das Kahnbein aufeinander stoßen«, sagte sie. »Der Täter hat mit der Hand auch sämtliche Handwurzelknochen entfernt. Man kann auf den anderen Aufnahmen sogar einige der Kerben erkennen, die die Klinge am Rand des Griffelfortsatzes hinterlassen hat. Er hat den Schnitt genau zwischen Arm- und Handknochen geführt.«
    Sie zeigte auf die andere Röntgenaufnahme. »Und nun sehen Sie sich den rechten Armstumpf an. Hier hat er nicht ganz so sauber gearbeitet. Er hat nicht wie links genau durch das Handgelenk geschnitten, und beim Entfernen der Hand ist das Hakenbein zurückgeblieben. Sie können die Spuren der Klinge hier sehen. Offenbar ist es ihm nicht gleich gelungen, das Gelenk zu finden, und so hat er blind herumgesägt, bis er es schließlich getroffen hat.«
    »Die Hände wurden also nicht einfach abgehackt, mit einer Axt zum Beispiel?«, sagte Sleeper.
    »Nein, er hat ein Messer benutzt. Er hat die Hände ungefähr so abgetrennt, wie man ein Huhn tranchiert. Man beugt das Gelenk, um den Zwischenraum zu vergrößern, und durchschneidet die Sehnen. Auf diese Weise muss man nicht den Knochen selbst durchsägen.«
    Sleeper verzog das Gesicht. »Ich glaube, ich werde heute Abend lieber kein Huhn essen.«
    »Was für eine Art Messer hat er verwendet?«, fragte Crowe.
    »Es könnte ein Ausbeinmesser gewesen sein, aber vielleicht auch ein Skalpell. Die Stümpfe sind zu sehr von Ratten zernagt, als dass die Wundränder uns da weiterhelfen könnten. Wir werden das weiche Gewebe abkochen und uns die Schnittspuren unter dem Mikroskop ansehen müssen.«
    »Ich denke, ich werde heute Abend auch keine Suppe essen«, meinte Sleeper.
    Crowe beäugte amüsiert den Schmerbauch seines Partners. »Du solltest öfter mal einen Abstecher in die Gerichtsmedizin machen. Dann kriegst du vielleicht diesen Rettungsring weg.«
    »Du meinst, das ist besser, als seine Zeit im Fitnessstudio zu vergeuden?«, gab Sleeper zurück.
    Maura sah ihn überrascht an. Selbst der sonst so umgängliche Sleeper hatte irgendwann einmal genug von den Sprüchen seines Partners.
    Doch Crowe lachte nur. Er merkte einfach nicht, wie sehr er seinen Mitmenschen auf den Geist ging. »He, wenn du ernsthaft vorhast, ein paar Zentimeter zuzulegen – ich meine oberhalb der Gürtellinie –, dann kannst du gerne mal mitkommen.«
    »Wir haben noch weitere Röntgenaufnahmen«, unterbrach Maura das Geplänkel der beiden. Mit knappen, routinierten Bewegungen nahm sie die Filme ab. Yoshima reichte ihr die nächsten, die sie sogleich unter die Clips schob. Die Umrisse von Kopf und Hals der Rattenfrau wurden vor dem Leuchtkasten sichtbar. Als sie am Abend zuvor in das Gesicht der

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