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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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einem Massaker.«
    »So nannte Pater Doolin es. Einen Massenmord.«
    »Wer waren die Täter?«
    »Die Polizei hat das nie herausfinden können. Es könnte ein Kastenkonflikt gewesen sein. Vielleicht waren es auch fanatische Hindus, die es nicht ertragen konnten, dass eine katholische Nonne in ihrer Mitte lebte. Oder es waren Tamilen oder irgendeine der diversen Separatistenorganisationen, die sich in dieser Gegend bekämpfen. Sie haben sie alle getötet, Dr. Isles. Frauen und Kinder. Und zwei Schwestern aus der Klinik.«
    »Aber Ursula hat überlebt.«
    »Weil sie an dem betreffenden Abend nicht in Bara war. Sie war am Tag zuvor nach Hyderabad gefahren, um Medikamente zu besorgen. Als sie am nächsten Morgen zurückkam, fand sie das Dorf in Schutt und Asche. Arbeiter aus der nahe gelegenen Fabrik waren bereits vor Ort und suchten nach Überlebenden, doch sie fanden keine mehr. Selbst die Tiere – die Hühner und Ziegen – hatten sie abgeschlachtet und die Kadaver verbrannt. Schwester Ursula brach zusammen, als sie die Leichen sah, und ein Arzt aus der Fabrik musste sie in seiner Klinik pflegen, bis Pater Doolin eintraf. Sie war die einzige Überlebende von Bara, Dr. Isles. Gott hatte seine schützende Hand über sie gehalten.«
    Damals vielleicht, dachte Maura. Sie war dem Massaker entgangen und nach Graystones Abbey zurückgekehrt, nur um feststellen zu müssen, dass der Tod sie nicht vergessen hatte. Dass sie auch hier nicht vor ihm sicher war.
    Mary Clement sah Maura in die Augen. »Sie werden in ihrer Vergangenheit keine Schandflecke entdecken, Dr. Isles. Nur ein Leben im Dienst an den Menschen, im Namen des Herrn. Versuchen Sie nicht, den guten Ruf unserer Schwester in den Schmutz zu ziehen. Lassen Sie sie in Frieden.«
    Maura stand mit Rizzoli auf dem Gehsteig vor dem ehemaligen Restaurant Mama Cortina. Der Wind drang wie mit eisigen Klingen durch den Stoff ihrer Mäntel. Es war das erste Mal, dass Maura die Umgebung bei Tageslicht sah. Die Straße war menschenleer, und die Fenster der heruntergekommenen Häuser starrten auf sie herab wie leere Augenhöhlen.
    »Nette Gegend, in die Sie mich da verschleppt haben«, sagte Rizzoli. Sie sah zu dem verblichenen Restaurantschild auf. »Ihre Unbekannte wurde also hier gefunden?«
    »Ja, in der Herrentoilette. Sie war seit etwa sechsunddreißig Stunden tot, als ich die Leiche untersuchte.«
    »Und Sie haben noch keinen Hinweis auf ihre Identität?«
    Maura schüttelte den Kopf. »In Anbetracht des fortgeschrittenen Stadiums ihrer Lepraerkrankung besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sie erst seit kurzem im Lande war. Möglicherweise illegal eingewandert.«
    Rizzoli hüllte sich enger in ihren Mantel. » Ben Hur « , murmelte sie. »Das fällt mir dabei ein. Das Tal der Aussätzigen.«
    » Ben Hur war nur ein Film.«
    »Aber die Krankheit ist echt. Was sie mit dem Gesicht und den Händen anrichtet.«
    »Sie kann wirklich schwere Verstümmelungen zur Folge haben. Deshalb hat die Lepra in früheren Zeiten auch solches Entsetzen ausgelöst. Deshalb sind die Menschen schreiend davongelaufen, wenn sie einen Aussätzigen erblickten.«
    »Mein Gott. Allein die Vorstellung, so einen Fall hier in Boston zu haben.« Rizzoli schüttelte sich. »Es ist eiskalt. Gehen wir rein.«
    Sie traten in den Durchgang zwischen den Häusern. Ihre Schuhe knirschten auf der vereisten Furche, die von den Schritten all der Polizisten und Kriminalbeamten in den Schnee getrampelt worden war. Hier waren sie zwar vor dem Wind
    geschützt, aber in der düsteren Häuserschlucht schien die Luft noch kälter, die Windstille seltsam bedrückend. Ein Stück Absperrband lag quer über der Schwelle des Seiteneingangs zum Restaurant.
    Maura nahm den Schlüssel heraus und steckte ihn in das Vorhängeschloss, doch es sprang nicht auf. Sie ging in die Hocke und bohrte mit dem Schlüssel in dem zugefrorenen Schloss herum.
    »Warum fallen einem eigentlich die Finger ab?«, fragte Rizzoli.
    »Was?«
    »Wenn man Lepra hat. Wieso verliert man da die Finger? Greift die Krankheit die Haut an? Sind das so eine Art Fleisch fressende Bakterien?«
    »Nein, der Lepraerreger schädigt das Gewebe auf andere Weise. Er greift die peripheren Nerven an, so dass die Finger und Zehen gefühllos werden. Der Kranke kann keine Schmerzen mehr empfinden. Aber Schmerzen sind die Alarmanlage des Körpers, Teil unserer Schutzmechanismen gegen Verletzungen. Ohne sie kann man die Finger aus Versehen in kochendes Wasser stecken und

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