Todtsteltzers Ehre
nicht mal Buh! zu einer Gans gesagt, die ihr auf die
Schuhe scheißt. Sie war ein schüchternes, in sich gekehrtes
Geschöpf, die gute Tante Grace, und sie lebte in ihren Erinnerungen an eine Zeit, als alles noch einfacher war. Gregor mußte
sie durch Schikanen überreden, überhaupt bei Hofe zu erscheinen. In jüngster Zeit taucht die liebe Grace aber voller Energie
im Rampenlicht auf und entwickelt sich zu einer bedeutenden
Gestalt des gesellschaftlichen Lebens. Irgend etwas hat sie
schließlich aufgeweckt, und ich möchte erfahren, was das
war.«
»Aber … ist das nicht eine gute Veränderung?« fragte Flynn.
»Freut es dich nicht, daß sie aus ihrem Schneckenhaus gekommen ist?«
»Sie ist immer noch eine Shreck«, sagte Toby. »Und wir tun
nie etwas ohne wenigstens einen einzelnen Hintergedanken.«
»Ach ja«, versetzte Flynn. »Und welches ist deiner bei diesem Besuch?«
Toby lächelte. »Meine Kusine Clarissa. Sie ist die ganze Zeit
bei Grace geblieben, seit der Todtsteltzer sie aus der Knechtschaft als eine von Löwensteins Zofen befreit hat. Ein hübsches
junges Ding und richtig süß. Ich dachte, ich sehe mal nach, wie
es ihr so geht.«
»Du alter Weichling«, sagte Flynn. »Warte mal! Ich dachte,
sie wäre deine Schwester?«
»Halb Schwester und halb Kusine«, antwortete Toby und
zuckte gelassen die Achseln. »Wir sind nun mal eine Familie
dieser Art.«
Es war nicht weit bis zu Grace Shrecks Stadthaus; sie wohnte
in derselben mondänen Gegend wie Gutmann. Private Sicherheitssysteme überwachten die Straßen und behielten jeden im
elektronischen Blick, der den Eindruck erweckte, er würde hier
nicht hingehören. Flynn allein wäre sofort angehalten worden,
aber alle Welt kannte Toby Shreck. Das Shreck-Stadthaus gehörte der Familie seit Generationen und sah auch danach aus.
Die alten Steinmauern waren durch Alter und Umweltverschmutzung verblaßt, und die einst tadellosen Gärten hatte man
verwildern lassen. Über die Fassade des Hauses rankten sich
dicke Matten alten Efeus, die niemand antastete, teils aus einem Gefühl für Tradition, teils aus Argwohn, er könnte das
einzige sein, was manches von dem Mauerwerk intakt hielt.
Die Fenster waren nur in einer Richtung durchsichtig und
wandten der Außenwelt leere, gleichgültige Augen zu. Und
Toby wußte genau, daß versteckte Geschütze überall montiert
waren, um ungebetene Gäste abzuschrecken. Schließlich war
dies ein Anwesen der Shrecks.
Früher war das Anwesen Heim und Zuflucht der meisten
Shrecks gewesen, aber mit der Errichtung der Pastelltürme
sank es auf den Rang eines bloßen Stadthauses hinab, wo Familienmitglieder, die in Ungnade gefallen waren, ein Weilchen
bleiben konnten. Jetzt diente das große Herrenhaus mit seinen
vier Flügeln allein Grace als Heim, wobei ihr eine kleine Armee von Dienern Gesellschaft leistete. Grace hielt viel davon,
den Anschein zu wahren.
»Die meisten Zimmer stehen heute leer«, erklärte Toby
Flynn, während sie mehr oder weniger geduldig vor dem
Hauptsalon warteten. Der Butler war gerade hineingegangen,
um sie anzukündigen, und ließ sich offensichtlich Zeit. Toby
hätte gar nicht gedacht, daß so viel anzukündigen war. Hier
konnte er jedoch nicht einfach hereinplatzen wie bei Gutmann.
Das hier war seine Familie. »Eigentlich eine Verschwendung.
Wenn man die Gegend bedenkt, könnten wir das Anwesen für
ein ordentliches Sümmchen verkaufen. Grace gibt es allerdings
nicht her, solange sie lebt. Es ist ihr Zuhause.«
»Und es ist wirklich eindrucksvoll«, fand Flynn. »Hätte ich
gewußt, daß wir etwas so Piekfeines besuchen, wäre ich mal
kurz nach Hause, um mir das beste Kleid und echte Diamanten
anzulegen. Ein Mädchen macht schließlich gern den allerbesten
Eindruck.«
»Das solltest du vor Grace nicht mal andeuten«, sagte Toby
entschieden. »Sie ist ein bißchen altmodisch und leicht zu
schockieren. Um irgendwas von ihr zu erfahren, brauche ich
sie entspannt und locker.«
»Das ist ein wenig kaltblütig, oder? Ich meine, sie ist deine
Tante!«
Toby lächelte. »Aber wir beide sind Shrecks. Werde da drin
bloß nicht unvorsichtig, Flynn! Sie könnte dich in Stücke reißen, wenn ihr der Sinn danach steht.«
Der Butter, der einen förmlichen Gehrock und eine gepuderte
Perücke trug, tauchte endlich wieder auf, um sie in den Hautsalon zu geleiten. Der Raum war groß genug, um die Pinasse
eines Raumschiffs aufzunehmen, und war randvoll mit antiken
Möbeln und
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