Todtsteltzers Ehre
unbezahlbaren Kunstwerken, wie man sie normalerweise nur in Museen gezeigt bekam. Riesige Familienportraits hingen an den Wänden, Generationen von Shrecks, aufgemacht in den unterschiedlichsten Stilrichtungen, aber alle mit
den gleichen finsteren Gesichtern und kalten Augen.
Gutmanns Bleibe wirkte daneben eindeutig rustikal.
»Mann!« sagte Flynn schließlich. »Wie die obersten Zehntausend wohnen! Ich wußte ja nie, daß deine Familie so reich
ist, Boß.«
»Sind wir gar nicht«, sagte Toby. »Wir waren es früher. Einzelne Stücke hier könnten die Familien schulden eines ganzen
Jahrzehnts ausgleichen, aber Grace ist nicht bereit, sich auch
nur von einem zu trennen. Solange sie in der Lage ist, sich weiterhin mit all diesem Zeug zu umgeben, kann sie sich auch einreden, der Clan Shreck wäre noch der gleiche wie früher und
nichts hätte sich wirklich verändert.«
»Immerhin«, sagte Flynn, »ich wette, es ist mörderisch, in
diesem Raum Staub zu wischen. Das machen sie wohl in
Schichten.«
Und dann wurden sie endlich Grace Shreck vorgeführt. Toby
und Flynn verneigten sich formell. Grace senkte königlich das
Haupt. Sie saß in der Tiefe eines riesigen und sehr bequem
wirkenden Sessels, der genau den richtigen Abstand vom prasselnden Feuer in dem großen Kamin hatte. Der Butler gab zwei
bereitstehenden Dienern, ebenfalls in Gehrock und gepuderter
Perücke, einen Wink, und sie eilten mit zwei antiken Stühlen
herbei und stellten sie in genau der richtigen Entfernung von
Grace auf, so daß Toby und Flynn ihr gegenüber Platz nehmen
konnten. Sie setzten sich vorsichtig auf die zierlich wirkenden
Stühle, die noch unbequemer waren, als sie schon aussahen.
Grace lächelte ihre Besucher an und gab dem Butler einen
Wink, ohne sich umzudrehen. Er und die beiden Diener verließen den Raum und gingen die ganze Strecke rückwärts. Grace
wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, und
schniefte abschätzig.
»Diener … es ist heutzutage so schwierig, gutes Personal zu
finden. Man muß so vorsichtig sein, was man in ihrer Gegenwart sagt! In meiner Jugend hätte es kein Familiendiener gewagt, ein Geheimnis oder überhaupt etwas über die Belange
des Dienstherrn auszuplaudern, was er womöglich mitgehört
hat, aber heute hat keiner mehr ein Gefühl für Loyalität. Alle
lauschen ständig nach Klatsch, den sie an die Medien für ihre
Skandalsendungen verhökern können. Egal, ob es nun stimmt
oder nicht, solange es nur eine gute Story abgibt – so lautet ihre
Einstellung. Ich hoffe wirklich, daß Eure Kamera da nicht
läuft, junger Mann! Ich nehme meine Privatsphäre sehr ernst.«
»Wir nehmen nichts ohne deine Einwilligung auf, Tantchen«,
erklärte Toby rasch.
Grace schniefte erneut. »Du nennst mich nur Tantchen, wenn
du etwas von mir willst, Tobias. Was ist es diesmal? Wieder
ein Darlehen?«
»Diesmal nicht, Tantchen, danke sehr. Wie es der Zufall
wollte, habe ich in der Gegend gerade ein anderes Haus besucht und dachte mir, da könnte ich auch gleich bei dir hereinschneien und mal sehen, wie es dir geht. Und Clarissa.«
»Oh, daher weht also der Wind, wie? Dachte ich mir doch,
daß ich bei ihrem Anblick ein Funkeln in deinen Augen sah, als
du dich das letzte Mal herabgelassen hast, mich zu besuchen.
Ihr geht es sehr gut, Tobias. Was das arme Dinge ertragen
mußte, hätte eine schwächere Person zerbrochen, aber natürlich
hat Clarissa gutes altes Shreck-Eisen in den Knochen. Sie
schafft das schon. Ich schicke gleich nach ihr. So, mein Neffe,
du kannst mir jetzt einen Kuß auf die Wange geben und endlich zum wirklichen Zweck deines Besuchs kommen. Du
kannst mich nicht täuschen, Tobias! Du bist nicht zu so später
Stunde erschienen, nur um zu fragen, wie es mir geht, und um
Clarissa schöne Augen zu machen.«
Toby grinste, stand auf, um Grace einen züchtigen Kuß auf
die gepuderte Wange zu geben, und setzte sich wieder. »Du
durchschaust mich immer, Tantchen. Ich brauche deine Hilfe
für eine Reportage, an der ich gerade arbeite und die davon
handelt, wie sich die Familien in der neuen Ordnung umorganisieren. Und eins muß man sagen: Du hast das Ansehen des
Clans stark verändert, seit du die Leitung übernommen hast.«
Grace machte ein finsteres Gesicht. »Nicht, daß ich in dieser
Frage eine Wahl gehabt hätte. Gregor war schon seit Jahren
verrückt, aber solange er das Prestige der Familie wahrte, wollte niemand etwas hören, was gegen ihn gerichtet gewesen
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