Todtsteltzers Ehre
Evangeline
abgehärtet. Sie war nicht mehr das schwache, hilflose Opfer, an
das sich Gregor erinnerte. Und vielleicht war das die Waffe,
die sie gegen ihn einsetzen konnte.
Nicht weit entfernt war noch jemand, der Finlay Feldglöck im
Auge behielt. Der Esper Julian Skye war sein bester Freund
und Schüler, seit der Feldglöck ihn aus den Folterkerkern der
imperialen Verhörspezialisten gerettet hatte. Julian war immer
noch von den Narben der Dinge gezeichnet, geistigen wie körperlichen, die man ihm angetan hatte, aber er schuldete Finlay
sein Leben und hatte es dem Dienst am Feldglöck gewidmet.
Der Feldglöck selbst erhielt dabei kein Mitspracherecht. Nur
hatte Finlay jetzt ein neues Leben in der Politik begonnen und
brauchte keinen Kämpfer mehr, an seiner Seite. Und Julian
verstand nichts von Politik und machte sich noch weniger daraus.
Zur Zeit spielte er sich selbst in Dokudramas über seine Mitwirkung an der Rebellion. Zwar hatte er sich nie für einen
Schauspieler gehalten, aber dem Publikum hatte es wirklich
gefallen, sich ihn in den Reportagen anzusehen, die Toby und
Flynn gefilmt hatten, und anscheinend reichte dergleichen
schon, um jemanden zum Star zu machen, wenn schon nicht
zum Schauspieler. Er würde sicher nie zu einer großen Attraktion werden, aber er hatte sein Publikum und seine treuen Anhänger und verdiente dabei mehr als genug Geld für seine wenigen Laster. Dabei half, daß das, was er den Drehbuchautoren
diktierte, fast durchgängig erfunden war. Die Öffentlichkeit
wollte eine Legende, keine Fakten, und nach wie vor konnte er
über vieles aus seiner Vergangenheit bislang einfach nicht reden. Ganz eindeutig gehörte dazu die Frau, die in diesem Augenblick nicht weit von ihm stand, diese zierliche, dunkelhaarige orientalische Schönheit SB Chojiro.
Früher hatte er sie geliebt. Und war von ihr an die imperialen
Folterknechte verraten worden. Weil er Rebell war und das SB
in ihrem Namen für den Schwarzen Block stand, den geheimen
inneren Kreis junger Aristos, die darauf konditioniert waren,
den Familien bis in den Tod und darüber hinaus die Treue zu
halten. Sie liebte ihn immer noch, mußte aber ihrer Konditionierung folgen. Das hatte sie in der Zelle der Folterknechte zu
ihm gesagt.
Heute schwang der Schwarze Block aus eigenem Interesse
das Zepter über die Familien. Und SB Chojiro war das nette
öffentliche Gesicht dieses inneren Kreises. Wie üblich war sie
im Parlament erschienen, um sich still im Hintergrund zu halten und allem zu lauschen. Alle wußten, daß sie, wenn sie
sprach, dies als Stimme des Schwarzen Blocks tat, und alle hörten zu. Vorausgesetzt, sie wußten, was gut für sie war.
Heute hatte sich Julian zum ersten Mal in die große Halle
gewagt. Und SB Chojiro so nahe zu sein … Ein Teil von ihm
wünschte sich nach wie vor sehnlichst, sie für das zu töten, was
sie ihm angetan hatte und was ihm ihretwegen angetan worden
war. Für den Verrat an allem, was seiner Überzeugung nach
zwischen ihnen gewesen war. Und ein Teil von ihm fragte sich,
ob er selbst heute noch alles vergessen und vergeben würde,
falls sie ihn nur wieder in die Arme nahm und ihn küßte und
ihn wieder liebte.
Und so blieb er ängstlich auf Distanz. Aber jetzt stand er
hier, gerade drei Meter von ihr entfernt, und wollte verdammt
sein, wenn er den Grund dafür wußte. Vielleicht war es nur
eine unerledigte Aufgabe. Wie auch immer, er hatte das Parlament aufgesucht, um sie zu sehen und womöglich mit ihr zu
reden. Und falls er sie nicht umbrachte, lernte er vielleicht, wie
er von ihr frei werden konnte. Falls es das war, was er sich
wirklich wünschte. Julian mußte lächeln. Er war dermaßen
durcheinander im Kopf, soweit es SB Chojiro anbetraf, daß die
Alternativen lauteten, entweder zu lachen oder durchzudrehen.
Sie stand gelassen zwischen ihren Ratgebern, lächelte und
lauschte und sagte wenig. Ein winziges Püppchen von einer
Frau mit hellrotem Kimono, der exakt die gleiche Schattierung
aufwies wie ihre Lippen. Dunkle, glatte, schulterlange Haare.
Große, dunkle, glänzende Augen. Die schönste Frau, die Julian
je gesehen hatte. Er verlangte danach, sie wieder in die Arme
zu nehmen – ein körperliches Bedürfnis wie Hunger oder eine
Sucht. Ihre Lippen auf seinen zu spüren, ihren warmen Atem in
seinem Mund … Und dann tötete er sie vielleicht, vielleicht
aber auch nicht. Er wußte es nicht. Er hatte sich noch nicht
entschieden.
Neben SB Chojiro
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