Todtstelzers Krieg
und Verantwortung. Ich sehe hier Spielzeuge vor mir, und ich weiß nicht, was ich mit ihnen anfangen
oder wie ich mit ihnen reden soll. Irgend etwas in mir will sie
festhalten, will von ihnen gehalten werden, will einfach nur in
der Sonne herumspringen und lachen, als wäre das schon immer mein sehnlichster Wunsch gewesen. Als hätte ich es nur
nie gewußt …« Sie unterbrach sich abrupt, als ungeweinte Tränen ihre Stimme erstickten. Finlay legte den Arm um ihre
Schultern.
»Wir sind für dich da«, sagte Reineke Bär. »Wir werden immer für dich da sein.«
»Zur Hölle!« fuhr Tobias auf. »Hat denn niemand hier eine
normale Kindheit hinter sich? Wir kommen doch unmöglich
alle aus kaputten Familien?«
»Ich hatte eine wunderbare Kindheit«, sagte Julian völlig
überraschend. Er unterbrach sich und warf einen mißtrauischen
Blick zu Flynn. »Diese Kamera ist abgeschaltet, oder?«
»Vertraut mir«, antwortete Flynn. »Wenn einer das Bedürfnis
nach gelegentlicher Privatsphäre versteht, dann bin ich das. Ihr
könnt reden.«
Julian schniefte zweifelnd, dann fuhr er fort. Hin und wieder
zuckte sein Blick zu der Kamera, um sicherzustellen, daß ihr
rotes Auge immer noch schlief. Seine Stimme wurde klarer und
verträumter, als er sich den Erinnerungen an glücklichere Zeiten hingab.
»Mein älterer Bruder Auric und ich standen uns immer sehr
nah, was in den meisten Familien ungewöhnlich ist. Normalerweise betrachten sich Brüder nur als Konkurrenten um das
Erbe und die Kontrolle des Clans. Es kann nur einen Erben
geben, und alle anderen gehen leer aus. Aber Auric und ich
verstanden uns wunderbar, von Anfang an. Er hat mich großgezogen, mehr als jedes Kindermädchen und jeder Tutor. Genaugenommen hieß es sogar die meiste Zeit: Wir gegen den
Rest der Welt. Wir hatten eine wunderbare Kindheit. Wir unternahmen alles gemeinsam. Wir teilten unsere Spielsachen.
Ich glaube, wir hatten nie einen Streit, der länger als ein paar
Minuten dauerte.
Wir wurden älter und wuchsen heran, und unsere Eltern versuchten, uns zu trennen. Auric wurde darauf vorbereitet, die
Familie nach dem Tod unseres Vaters zu führen. Ich sollte zum
Militär, abgeschoben und vergessen, bis das Undenkbare geschähe und Auric stürbe. Dann hätte man mich zurückgerufen,
um den Platz meines Bruders einzunehmen.
Doch wir weigerten uns. Wir wollten uns nicht trennen lassen. Wir waren noch immer die besten Freunde, Brüder nicht
nur nach dem Blut, sondern aus freiem Willen und aus Liebe.
Selbst dann noch, als ich herausfand, daß ich ein Esper bin.
Es war ein tiefer Schock. Die Familien hüten ihre genetische
Linie wie einen Schatz; aber irgendwann im Laufe der Zeit
muß irgend jemand einen Fehltritt begangen haben, und die
Espergene wurden in unsere Blutlinie eingeschmuggelt. Und in
mir kamen sie zum Vorschein. Ich wußte, daß ich nicht mit
meinen Eltern darüber reden durfte. Sie hätten mich eher in
einem sorgfältig arrangierten Unfall umgebracht, als die
Schande auf sich zu nehmen, ein Esperkind in die Welt gesetzt
zu haben. Esper sind Untermenschen. Besitz. Immer. Ohne
Ausnahme. Aber ich wußte, daß ich mit Auric darüber reden
konnte. Er deckte mich. Er hielt mich am Leben, wenn ich
mich so elend fühlte, daß ich mich am liebsten selbst getötet
hätte. Er hat nie etwas anderes in mir gesehen als den Bruder.
Als deutlich wurde, daß ich eine Ausbildung benötigte, um zu
lernen, wie ich mein ESP einsetzen und verbergen konnte, da
suchte er die richtigen Kontakte und zog die Fäden, die mich
schließlich zur Untergrundbewegung der Esper und Klone
brachten.
Wir hatten nur ein einziges Mal ernsthaften Streit. Das war,
als er sich in SB Chojiro verliebte. Ich wußte von Anfang an,
daß mit dieser Frau etwas nicht in Ordnung war, aber ich konnte es nicht in Worte fassen. Ich glaubte, es sei nur Eifersucht,
weil Auric so nahe bei ihr war; also verdrängte ich es und versuchte statt dessen, mich darüber zu freuen, daß sie ihn so
glücklich machte.
Aber wir waren nur ein kleines, unbedeutendes Haus, und sie
gehörte zum Clan Chojiro. Auric ging in die Arena, um ihre
Familie zu beeindrucken und seine Liebe zu SB Chojiro zu
beweisen. Er stellte sich dem Maskierten Gladiator, und dieser
verdammte Bastard brachte ihn um. Er hätte ihn nicht töten
müssen. Es hätte gereicht, Auric eine ehrenhafte Verwundung
beizubringen und ihn davonkommen zu lassen. Statt dessen
stieß er sein Schwert durch Aurics
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