Todtstelzers Krieg
hielt die
Karte, die Owen nach den Informationen aus Lektronendateien
gezeichnet hatte, die beinahe so alt waren wie die Tunnel
selbst. Die Gänge bildeten ein endloses Labyrinth, und nur
sorgfältige Orientierung würde die Rebellen zeitig genug zu
ihrem Ziel führen.
Das blasse Licht auf den von Löchern übersäten, kabelbedeckten Wänden wirkte zunehmend beunruhigend, beinahe
lebendig. Hazel murmelte etwas von wegen den Eingeweiden
der Erde, doch niemand lachte. Es war auch nicht als Scherz
gedacht gewesen. Keinem war nach Reden zumute, und jeder
hing seinen eigenen Gedanken nach. Nach all der Zeit und all
den Kämpfen hatten sie endlich die letzte, entscheidende Auseinandersetzung vor Augen, die das Ende von Löwensteins
Herrschaft und der herkömmlichen Ordnung der Dinge bedeuten würde. Owen versuchte sich vorzustellen, wie ein Imperium aussehen mochte, für dessen Schaffung er verantwortlich
war, und es überraschte ihn nicht, daß ihm das nicht gelang. Er
war Historiker, und er hatte eine beliebige Anzahl alter Kulturen studiert, einschließlich einiger, die heutzutage offiziell
niemals existiert hatten. Er hatte sich mit allen möglichen Formen von Religionen und politischen Theorien beschäftigt, aber
persönlich hatte er nie etwas anderes gekannt als das Imperium
der Familien und den Eisernen Thron. Ohnesorg und Hazel
hatten sich abwechselnd ihre voneinander abweichenden Vorstellungen eines auf Demokratie basierenden neuen Imperiums
erklärt; aber sosehr Owen ihre Theorien auch mochte, sie klangen in seinen Ohren nach reinem Chaos. Außerdem wollte er
verdammt sein, wenn er sehen konnte, wo in ihren zukünftigen
Reichen für ihn und seinesgleichen Platz war. Andererseits
hatte er auch niemals in Löwensteins Imperium gepaßt. Er
grinste bei dem Gedanken, und ihm dämmerte, daß seine
Chancen, überhaupt irgendeine Zukunft zu erleben, sowieso
nur gering waren, und das ließ seine Sorgen unbedeutend erscheinen. Falls er diese Mission überlebte, konnte er sich immer noch Gedanken machen.
Er war noch immer nicht ganz sicher, was er unternehmen
würde, wenn es ihnen schließlich gelungen war, einen Weg in
den Imperialen Hof zu finden und sie vor ihrer Imperatorin auf
dem Eisernen Thron standen. Sein ganzes Leben lang war er
dazu erzogen worden, den Eisernen Thron zu achten und zu
ehren, ganz gleich, wer darauf saß. Er hatte geschworen, dem
Thron sein ganzes Leben lang zu dienen und ihn notfalls auch
mit dem Leben zu verteidigen. Der Eiserne Thron war der Ursprung aller Pflicht und aller Ehre und noch vieler andere Dinge, die sich nicht so leicht in Worte fassen ließen. Den Thron
zu stürzen war, als würde man Gott selbst stürzen. Owen Todtsteltzer war ein Aristokrat, und daran hatte auch seine Ächtung
nichts geändert. Vermutlich würde er sein ganzes Leben Aristokrat bleiben, jedenfalls in vielerlei Hinsicht. Doch Owen
hatte zuviel Dunkelheit gesehen. Er hatte die Schattenseiten
des Imperiums kennengelernt. Er hatte gesehen, auf wieviel
Leid und Elend die Gesellschaft der Reichen und Privilegierten
basierte, und er konnte den Blick nicht einfach wieder abwenden und so tun, als wäre nichts geschehen. Pflichtgefühl und
Ehre und reine Menschlichkeit verlangten von ihm, daß er dem
Imperium Einhalt gebot.
Und so war er zu einem der Anführer der Rebellion geworden, ein Held und Vorbild für andere, und der Sinn seines Leben bestand nun darin, all jene zu rächen, die das Imperium aus
Habsucht oder Willkür zerbrochen oder ausgestoßen hatte. Er
kämpfte jetzt für die Armen und die Geknechteten, für die
Esper und die Klone und andere Unpersonen, für jeden, dessen
Leben durch eine Imperatorin zerstört worden war, deren
Pflicht es eigentlich gewesen wäre, ihre Untertanen zu schützen. Und wenn er sich manchmal dabei wie ein Betrüger vorkam oder wie jemand, der nicht würdig war, Teil des Kampfes
zu sein, so tröstete er sich mit dem Gedanken, daß außer ihm
niemand sonst vollbringen konnte, was er tat. Das Labyrinth
des Wahnsinns hatte ihm Kräfte geschenkt, die weit über die
eines gewöhnlichen Menschen hinausgingen, und so behielt er
sein Menschsein nun dadurch, daß er diese Kräfte in den
Dienst der gesamten Menschheit stellte.
Und all das nur, weil die Löwenstein ihn verstoßen und sein
behagliches, komfortables Leben zerstört hatte, zusammen mit
allem, was Owen je lieb und teuer gewesen war. Immer wieder
versuchte er sich einzureden, daß
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