Todtstelzers Krieg
seinen Vater getötet hat. Wessen Hand führte die Klinge, die seinem Leben ein Ende setzte?
Wer war es, Katie?«
Das Mädchen runzelte die Stirn und schürzte unglücklich die
Lippen, doch es wachte nicht auf. Nach einer Weile schluckte
es den Rest des Bonbons herunter und sprach mit klarer Stimme: »Diese Frage hast du mir vor langer Zeit schon einmal
gestellt. Die Antwort ist noch immer die gleiche. Es war der
lächelnde Mörder, der Hai in seichten Gewässern, der Mann,
der nicht aufgehalten werden kann, es sei denn, durch seine
eigene Hand. Sein Name ist Kid Death. Kid Death hat den
Todtsteltzer getötet.«
Owen nickte langsam. In seinem Gesicht regte sich kein
Muskel, doch seine Hände waren zu Fäusten geballt. Er hatte
nicht erwartet, diesen Namen zu hören; es überraschte ihn auch
nicht. Kid Death war eine Zeitlang der Lieblingsassassine der
Imperatorin gewesen. Sein richtiger Name lautete Lord Kit
Sommer-Eiland. Inzwischen war er ein Befürworter der Rebellion und ein Freund von Owens entferntem Vetter, der den Titel des Lord Todtsteltzer angenommen hatte, nachdem Owen
für vogelfrei erklärt worden war. Zur Zeit waren beide nach
Virimonde unterwegs, der ruhigen Hinterwelt, die einst Owen
gehört hatte. Es spielte keine Rolle. Und es spielte auch keine
Rolle, daß Owen und Kid Death inzwischen auf der gleichen
Seite kämpften . Owen würde ihn töten, sobald die Rebellion
ihn nicht mehr benötigte, ebenso wie jeden, der ihm dabei in
den Weg trat . Ein zögerndes Grinsen erschien auf Owens Gesicht, und er öffnete die Fäuste wieder. Wenigstens etwas, worauf er sich freuen konnte.
»Du bist nicht hergekommen, um mir diese Frage zu stellen«,
sagte das Kind unvermittelt. Seine Augen bewegten sich unruhig unter den geschlossenen Lidern. »Es gibt noch etwas, das
du mich fragen möchtest. Etwas, das du wissen mußt. Frag
mich. Frag mich.«
»In Ordnung«, erwiderte Owen. Seine Brust war mit einemmal wie zugeschnürt, und es kostete ihn Mühe, ein Beben aus
seiner Stimme zu halten. »Als ich das letzte Mal hier war, wurde mir erzählt, wie ich sterben würde. Ich muß wissen, ob sich
daran etwas geändert hat.«
»Nein«, antwortete das Mädchen tonlos. »Du wirst hier in
Nebelhafen sterben, allein und verlassen, im Kampf gegen eine
Übermacht, die niemand alleine zu schlagen vermag. Und nach
deinem Tod werden sie nicht einmal davor zurückschrecken,
dir deine Stiefel zu stehlen.«
»Wann?« fragte Owen. »Wann wird das geschehen?«
»Deine Frage bezieht sich auf einen Zeitpunkt«, entgegnete
das Kind und wandte den Kopf ab. »Ich habe die Zeit nie verstanden.«
»Versuch es bitte«, verlangte Owen. »Versuch es, verdammt
noch mal!«
Er streckte die Hände aus, um das Mädchen an den Schultern
zu packen, doch Chance kam ihm zuvor und zog ihn von der
Pritsche weg. Owen schüttelte den schweren Mann ohne jede
Mühe ab; aber der Augenblick war vergangen, und er hatte sich
wieder unter Kontrolle. Schwer atmend stand er über dem
schlafenden Kind … und wandte sich ab.
»Es spielt keine Rolle«, sagte er schließlich mehr zu sich
selbst als zu Chance. »Ich weiß seit Virimonde, daß ich für
jeden neuen Tag dankbar sein muß. Ich hätte eigentlich schon
dort sterben sollen. Nur ein Wunder hat mich gerettet. Niemand darf mehr als ein Wunder in seinem Leben erwarten.
Trotzdem ist es hart, sein eigenes Todesurteil zu hören und zu
wissen, daß es nichts, aber auch wirklich absolut gar nichts
gibt, das man daran ändern könnte.«
»Wenn Ihr die Antworten nicht hören wollt, dann dürft Ihr
die Fragen nicht stellen«, erklärte Chance. »Außerdem habe ich
ja bereits gesagt: Ihr dürft den Vorhersagen der Präkos nicht
trauen. Würden sie sich niemals irren, dann wäre ich inzwischen längst ein reicher Mann. Ich gebe Euch ein Beispiel: Seit
einer ganzen Weile sagen meine Kinder übereinstimmend, daß
etwas wirklich Böses auf dem Weg nach Nebelhafen ist, aber
nicht zwei von ihnen stimmen darin überein, um was zur Hölle
es sich dabei handelt. Ich habe nichts weiter als einen Namen: Legion. Und bis jetzt seid Ihr das einzig Unangenehme, das
hier aufgetaucht ist …«
»Es spielt keine Rolle«, unterbrach ihn Owen. »Wenn ich
sterben muß, dann sterbe ich aufrecht, wie es sich für einen
Todtsteltzer gehört . «
»Oh, sehr poetisch!« spottete Chance. »Gott bewahre mich
vor Helden. Seht mal, ich habe ein Geschäft, das weiterlaufen
muß. Paßt auf, daß Euch die
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