Todtstelzers Schicksal
Zeremonie beteiligten Personen hatten stille, aber
herzhafte Seufzer der Erleichterung ausgestoßen. Alle liebten
Sankt Bea, aber niemand fühlte sich wohl bei dem Gedanken,
engen Kontakt mit einem Menschen zu haben, der sich freiwillig für ein Leben unter Leprakranken entschieden hatte. Heilige
sollten Abstand wahren. Alle Arten religiöser und politischer
Gruppierungen schlugen aus den verschiedensten Gründen eine
Reihe anderer Priester als Alternativen vor, aber am Ende trat
Kardinal Brendan als erwählter Kandidat hervor. Er war wohl
bekannt und beliebt, und vor allem gehörte er dem Schwarzen
Block an. Und wie in so vielen Dingen, zeigte sich auch hier:
was der Schwarze Block wünschte, das bekam er auch.
Brendan gab persönlich einen Dreck auf die bevorstehende
Zeremonie. Er wusste, dass die eigentliche Tagesordnung noch
vor der Hochzeit oder der Krönung abgewickelt würde, und
zwar genau hier, in einem Privatzimmer, das an den Plenarsaal
angrenzte. Wo er Robert und notfalls Konstanze die wahren
Fakten des Lebens erklären konnte: Dass eine Krone auf dem
Haupt noch gar nichts bedeutete, soweit es den Schwarzen
Block anging. König und Königin würden sich also dem Schwarzen Block beugen. Oder … Brendan lächelte bei diesem
Gedanken. Er hatte schon eine kleine Plauderei mit Robert gehabt, aber anscheinend hatte das nicht so nachdrücklich gewirkt, wie er es geschätzt hätte. Also gedachte er, diesmal die
schwere Artillerie aufzufahren. Und entweder fügte sich Robert
dem, was der Schwarze Block für ihn geplant hatte, oder hier
fand keine Hochzeit statt.
Brendan schritt ohne Eile durch die Menge, beglückte Personen im Vorbeigehen mit einem Lächeln und Segenssprüchen
und blieb dabei ganz ungerührt von dem allgemeinen Tumult,
bis er seine ausgewählte Komplizin erreicht hatte. Chantelle
unterhielt sich gerade ernsthaft mit Donna Silvestri, einer
wuchtigen, mütterlichen Gestalt, die zu den eher unterschwelligen Drahtziehern des Imperiums gehörte. Die Silvestri war
mit Hilfe der üblichen Methoden – Mord und Verrat – in ihrem
Clan aufgestiegen, hatte dabei aber stets so sorgfältig geplant,
dass nie eine Spur zu ihr geführt hatte. Jetzt sprangen die Menschen schon, wenn sie einen Befehl nur leise murmelte, und
zwar sowohl Familienmitglieder wie Außenstehende. Sie
zeichnete sich durch eine Begabung für Intrigen aus und durch
genügend stille Bösartigkeit, um zu gewährleisten, dass ihr
Wille stets Vorrang erhielt vor dem anderer. Sie zog ihre Fäden
aus dem Hintergrund heraus, und so gefiel es ihr auch. Natürlich gehörte sie dem Schwarzen Block an.
Dabei sah Donna Silvestri aus wie jedermanns Lieblingstante, rund und breit und immer seit ein paar Jahren aus der Mode.
Sie schenkte jedem Problem Gehör und bot jedem, der es nötig
hatte, eine Schulter, an der er sich ausweinen konnte. Und falls
sich ihr warmes Lächeln nie bis auf die blassblauen Augen
erstreckte, so waren die Menschen in ihrer Gesellschaft meist
zu sehr von anderem in Anspruch genommen, um es zu bemerken. Donna Silvestri hörte geduldig zu, gab die richtigen unterstützenden Laute von sich und vergaß nichts. Sie speicherte
alles in ihrer Rattenfalle von Verstand, bis sich irgendeine gemurmelte Vertraulichkeit womöglich einmal als nützlich erwies und irgendein armer Trottel plötzlich herausfand, dass der Schwarze Block das eine von ihm wusste, wovon er jederzeit
geschworen hätte, es wäre niemandem bekannt. Niemand verdächtigte jemals die warmherzige und freundliche und tröstende Donna Silvestri. Sie zu verdächtigen hätte bedeutet, die eigene Mutter zu verdammen.
Kardinal Brendan verneigte sich vor der Silvestri und Chantelle, und beide nickten ihm höflich zu.
»Tut mir leid, Euch zu belästigen, aber ich muss privat ein
Wort mit Euch wechseln, Chantelle«, sagte Brendan. »Ein
kleines Problem, bei dem es um die königliche Etikette geht.«
»Natürlich«, sagte Chantelle. »Wir können eines der Nebenzimmer benutzen. Niemand wird uns dort stören.«
Sie ging voraus, und Brendan folgte ihr in gesetzter Haltung.
Eine Anzahl Nebenzimmer grenzte an den Plenarsaal an, wo
man, einer langen Tradition folgend, in völliger Privatsphäre
diskutieren und Absprachen treffen konnte. Die Zimmer waren
schalldicht, garantiert nicht verwanzt, hatten keine Fenster und
jeweils nur eine Tür mit erstklassigem Schloss. In diesen kleinen Räumen fanden mehr wichtige Debatten statt als jemals
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