Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Töchter auf Zeit

Töchter auf Zeit

Titel: Töchter auf Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Handford
Vom Netzwerk:
Chemo an. Ich war letzte Nacht noch im Internet. Die schreiben, dass jeder Patient anders darauf reagiert.«
    »Deine Mom war danach fix und fertig. Daran kann ich mich noch gut erinnern. Und ich konnte nichts für sie tun. Die reinste Hölle!«, sagte er und schüttelte den Kopf.
    Ich nickte, denn auch ich wusste noch ganz genau, dass sich Mom immer ins Bad eingesperrt hatte. Ich hatte die Würgegeräusche und ihr Stöhnen deutlich hören können.
    Wir sahen Maura zu, die im seichten Bach stand und nach Herzenslust darin planschte. Ab und zu spritzte sie sich ganz nass, aber das schien ihr nichts auszumachen.
    »Maura sieht deiner Mutter ganz schön ähnlich«, sagte Larry.
    »Claire und ich finden das auch«, pflichtete ich ihm bei.
    Wir nickten beide und sahen geradeaus.
    »Kannst du dich noch an den Wanderweg hinter unserem alten Haus erinnern?«, fragte er mich und legte seinen Arm auf die Rückenlehne, nur ein paar Zentimeter von meiner Schulter entfernt. »Weißt du noch?«
    Gleich hinter unserem Grundstück fing ein Wanderweg an. Bohlenbrücken führten über die Bäche, in einem ausgetrockneten Flussbett lag ein riesiger Baumstamm, den wir zum Schwebebalken umfunktionierten. Ein Riesenspaß war es auch für uns, die moosbewachsenen Steine umzudrehen und nachzusehen, ob sich Frösche darunter versteckt hatten.
    »Wir sind oft hierhergegangen«, sagte Larry. »Und dann habt ihr zwei Mädels immer versucht, mit einem Stock Fische zu fangen.«
    »Ja, stimmt«, grinste ich und fühlte mich, als wäre ich wieder sechs. »Ich war so gerne hier draußen. Du hast uns diese merkwürdigen Spuren an den Baumstämmen gezeigt und gesagt, das wäre Rehverbiss.«
    »Ganz genau«, lächelte auch Larry. »Du erinnerst dich also.«
    Ich erinnere mich noch ganz genau an unsere guten Zeiten
, wollte ich ihm sagen.
Das ist ja das Problem. Schließlich will ich noch immer verstehen, weshalb du uns verlassen hast, obwohl wir so viel Spaß miteinander hatten und alles bestens lief.
    Ich sah zu Larry rüber. Sein Mund zuckte. Du meine Güte, dieses Zucken hatte ich ja völlig vergessen. Dann sah ich mich nach Maura um. Anscheinend wollte sie einen Baumstamm kurzerhand zu einem Boot umfunktionieren. Ich bewunderte ihren Einfallsreichtum und ihre Kreativität. Sie war mit vollem Eifer bei der Sache, wie mir ihre hochgezogenen Augenbrauen, der offen stehende Mund und ihr intensiver, konzentrierter Blick verrieten. Sie kauerte im Wasser und entweder hatte sie nicht bemerkt, dass ihr Hosenboden pitschnass war, oder es machte ihr nichts aus. Sie versuchte jetzt, aus einer Rute einen Mast an ihrem Boot zu befestigen. Sie war so ein unbekümmertes Kind. Ich hoffte, sie würde das auch bleiben. Nicht dass es ihr so ginge wie Claire und mir, wir hatten unsere kindliche Sorglosigkeit durch die Krankheit unserer Mutter verloren.
    »Wie geht es
dir?
«, fragte mich Larry. Dass er mich beim Tränenabwischen beobachtet hatte, war von mir unbemerkt geblieben.
    »Gut«, sagte ich rasch. Ich stand auf und machte ein paar Schritte Richtung Wasser, blinzelte heftig, um die Tränen zurückzudrängen, und fragte mich, wie lange es wohl her sein mochte, dass ich in den Armen meiner Eltern geweint hatte. Ich schätze mal, das dürften so an die zwanzig Jahre gewesen sein. Ob es wohl so etwas wie ein Muskelgedächtnis fürs Trösten gibt? Angeblich verlernt man ja auch Radfahren oder Teigrollen nicht.Wusste der menschliche Körper instinktiv, was er zu tun hatte? Oder vergisst man, wie man sich zu verhalten hat, selbst wenn es um so essenzielle Dinge wie Trost spenden oder getröstet zu werden geht. Schließlich war auch ich ja mal ein kleines Mädchen und eine kleine Tochter gewesen. Und nicht nur ich, auch Sam und Claire. Wir wussten nur nicht, dass es nicht für immer so sein würde, denn wir waren nur Töchter auf Zeit.
    Ich kniff die Augen zusammen und suchte den Bach nach Maura ab. Sie stand noch immer an derselben Stelle, fing kleine Fische und Wasserkäfer, drehte Steine um und ließ ihr Boot in der schwachen Strömung treiben. Es war kurz vor zwölf. Sam brauchte ihr Fläschchen und Maura ein Mittagessen.
    »Maura«, rief ich. »Noch fünf Minuten, okay? Wir müssen was zu Mittag essen.«
    »Aber du wolltest mir doch eine Angel basteln«, schrie Maura zurück und planschte weiter im Wasser.
    »Es verging nicht ein einziger Tag in meinem Leben, an dem ich nicht an euch Mädels gedacht hätte«, sagte Larry und tätschelte zart Sams Rücken. »Die

Weitere Kostenlose Bücher