Töchter auf Zeit
Zeit verging so rasend schnell. Ab und zu habe ich euch im Internet gegoogelt. Ich wollte wissen, was du und deine Schwester so machen.« Er ließ den Kopf sinken. »Ich habe nicht herumspioniert.«
Und weshalb nicht?,
lautete doch die Frage, um dies es eigentlich ging.
Warum nicht?
Weshalb hatte er nicht einfach an unsere Haustür geklopft und sich wie ein Bulldozer Eintritt verschafft? Weshalb hatte er sich nicht durchgesetzt und wäre Teil unserer Familie geworden? Für mich wäre das absolut in Ordnung gegangen. Immerhin hätte ich dann gewusst, dass wir ihm nicht egal sind. Wir hatten keinen Raum für uns gebraucht, sondern unseren Vater. In diesem Falle wäre es uns mehr als recht gewesen, wenn er uns nachspioniert hätte.
»Ich habe mich über dein Restaurant auf dem Laufenden gehalten«, fuhr Larry fort. »Der Laden läuft ja prima. Und ichweiß, dass sich Claire aus dem Investmentgeschäft zurückgezogen hat, als sie ihr Baby bekam. Ich habe den Artikel über sie gelesen.«
Ich wusste, von welchem Artikel er sprach. Die Handelskammer hatte ihn anlässlich der Ehrung erfolgreicher Geschäftsfrauen veröffentlicht.
Ich unterdrückte die Gefühle, die in mir aufzusteigen drohten. »Ich geh dann mal. Die Mädels brauchen ihr Mittagessen.«
»Lass mich doch Maura bei ihrer Angel helfen. Ich beeil mich auch, okay?« Larry stand auf und drückte mir Sam in die Arme. »Es dauert nicht lang, versprochen.«
Sam spielte an meinem Hals und ich genoss dieses vertraute Gefühl. Wir sahen Larry zu, wie er den Kofferraum seines Wagens öffnete und dann mit einer Schnur und einem Taschenmesser in der Hand wieder zu uns zurückkam. Dann machte er sich daran, aus einer Rute eine Angel zu schnitzen. Anscheinend konnte er mit Kindern umgehen, denn ich konnte hören, wie er dabei auf sie einredete und sich in einfachen, für Kinder verständlichen Worten ausdrückte. Für mich sah es ganz danach aus, als hätte er sich lange Zeit auf diesen Moment vorbereitet – ein Großvater in der Warteschleife.
Während Larry und Maura mit ihrer Angel beschäftigt waren, saß ich mit Sam auf der Bank. Ich versuchte, ihr mit einer Hand ein Fläschchen zuzubereiten, so wie ich es bei Amy DePalma in China und bei Claire, als Maura noch klein war, gesehen und bewundert hatte. Langsam, aber sicher fand ich mich in meine neue Rolle als Mutter hinein, aber ich fragte mich, weshalb mein Mutterglück auf Kosten von Claire ging. Als würde Gott nicht wollen, dass es mir gut geht, sondern dass mein Leben von Schmerz und Kummer geprägt ist.
Es war erst halb eins, aber ich war geistig und emotional ausgebrannt, konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Es fühlte sich an, als hätte ich den ganzen Tag lang in einer Prüfunggesessen. Claire auf dem OP-Tisch. Larry mit uns im Park. Sam, Maura und ich. Der Boden unter meinen Füßen geriet ins Wanken und ich musste mich nicht nur um meiner selbst willen behaupten, sondern auch für alle anderen stark sein.
Reiß dich zusammen und lächle!,
konnte ich Claire sagen hören. Ich fuhr mir über die Augen, richtete mich auf und verzog den Mund zu einem Lächeln.
Als Larry und Maura mit ihrer Angel fertig waren, sagte ich zu ihnen: »Jetzt müssen wir aber los.«
»Danke für deinen Anruf, Helen«, meinte Larry und schüttelte den Dreck von seinen Händen ab. »Ich habe mich sehr darüber gefreut, endlich mal die Mädels – meine Enkelinnen – zu sehen. Halt mich auf dem Laufenden, was Claire anbelangt, ja?«
»Versprochen. Ich rufe dich an.«
»Gib mir fünf«, forderte er Maura auf und hielt seine Hand mit gespreizten Fingern hoch.
Maura klatschte wieder und wieder auf seine Hand, denn sie war begeistert von Larry, dem Kerl aus dem Park, der wusste, wie man eine coole Angel schnitzte.
Larry beugte sich zu mir und drückte Sam ein Küsschen auf den Kopf. Dann hielt er inne, sah mich, dann Sam und Maura an und rief begeistert: »Wunderschön.« Ich sah ihm nach, als er in Richtung Auto davonging.
»Larry?«, rief ich ihm hinterher und schob Sam, die an meiner Hüfte hing, ein bisschen hoch. »Woher weiß ich denn, dass du es diesmal ernst meinst? Dass ich dir diesmal vertrauen kann?«
Larry sah weg. Dann räusperte er sich und sah mir in die Augen. Sein Mund verzog sich merkwürdig und seine Augen sahen gerötet aus. »Ich kann dir nur eines sagen: Diese Stunde mit dir und meinen Enkeltöchtern …«, er konnte nicht weiterreden und schluckte schwer, »… waren das Beste, was ich
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