Töchter auf Zeit
deshalb wollte sie sie um keinen Preis gehen lassen.
»Geh nicht weg, bitte«, flehte sie zwischen heftigen Schluchzern und legte ihre Ärmchen um Claires Hals wie um einen Schraubstock.
»Aber meine Süße«, probierte es Claire noch mal. »Ich bin wieder da, bevor du bis drei gezählt hast. Tante Helen passt auf dich auf und Sam und du werdet jede Menge Spaß haben.«
»Aber ich will, dass
du
hierbleibst!«, quengelte Maura. Ein Klassiker unter den Kampfansagen. Und doch kam dieser Satz über ihre Lippen wie nichts.
Claire sah woanders hin, als ich Maura mit dem Versprechen, eine gigantische Jaguarbettenburg aus all den Kissen im Wohnzimmer zu bauen, von ihr weglockte.
»Tante Helen«, Maura musste schlucken, ihr Mund war nur ein paar Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. »Ich will zu Mommy ins Krankenhaus.«
»Krankenhäuser sind langweilig«, versuchte ich sie abzulenken. »Da gibt es gar nichts, was man tun könnte.«
»Mommy hat immer was zu tun!«
»Ja schon, aber ich kann hier ein paar ganz tolle Sachen machen. Wart’s ab! Wollen wir eine Teeparty geben?«
»Na gut«, sagte Maura. »Weißt du was, Tante Helen? Röntgenbilder sind Fotos von deinen Knochen.«
Uff.
Endlich wieder altersgerechte Sprüche!
»Ruf mich an, sobald ihr Bescheid wisst«, bat ich Claire und Ross.
»Ross wird dich anrufen«, versprach Claire, kniete sich hin und nahm Maura in ihre Arme. »Ich liebe dich, mein Engel.«
Ich drückte Claire fest an mich und gab ihr einen Kuss. »Du schaffst das schon«, sagte ich in festem Ton, doch zugleich schnürte es mir die Brust zu.
»Sehr überzeugend, deine Vorstellung«, witzelte Claire. »Und jetzt lass uns gehen, bevor ich anfange zu heulen.«
Sam krabbelte durch das Wohnzimmer und versuchte immer wieder, ein paar Schritte zu machen, fiel wieder hin, stand unverdrossen auf. Maura klammerte sich fest an meinen Hals, als ich auf die vordere Veranda trat und Ross und Claire zuwinkte, während sie davonfuhren. In der Küche setzte ich Sam auf ihren Hochstuhl und macht erst mal Tee. Dann stellte ich das Geschirr – winzige Teetassen aus Porzellan mit rosa Rosen – auf den Tisch. Ich legte ein Plätzchen auf Mauras winzigen Teller, einen vor Sam, füllte das Milchkännchen mit Milch und die Zuckerdose mit Zucker. Maura und ich sprachen einander mit »Miss« an und überschlugen uns vor Höflichkeit. Beim Trinken spreizten wir natürlich den kleinen Finger ab. Sam gluckste und schlug auf ihr Plätzchen ein.
Als wir fertig waren, wechselte ich Sams Windeln, setzte Maura auf die Kloschüssel und packte ein paar Sachen zusammen.
»Wer kommt mit in den Park?«, fragte ich mit hoher Stimme, die Begeisterung ausdrücken sollte.
»Ich, ich!«, rief Maura fröhlich. »Mom hat mir erlaubt, mein Schmetterlingsnetz mitzunehmen.«
Der Vorschlag, in den Park zu gehen, war von Claire gekommen, und sie hatte Maura Eimer und Schmetterlingsnetz eingepackt. Von meiner Schwester wusste ich auch, dass Maura mit wahrer Begeisterung durch den kleinen Bach hinter dem Spielplatz lief. Deswegen hatten wir uns darauf geeinigt, dass wir an diesem Tag alle drei durchs Wasser waten würden. Gleich am kiesigen Ufer stand eine Parkbank, auf der Larry saß. Er trug Jeans und ein T-Shirt und las Zeitung. Ich hatte ihn am Vortag der OP angerufen, um ihm davon zu berichten. Er wollte Claire sehen. »Mach langsam, gib uns, gib ihr Zeit«, hatte ich ihm gesagt.
Maura rannte los Richtung Bach, kam neben Larry zum Stehen, kickte ihre Schuhe weg und hüpfte ins Wasser.
»Maura«, rief ich beiläufig. »Das ist Larry. Sag schön Hallo zu ihm.«
»Hi!«, brüllte Maura vom Wasser hoch.
Larry sah mich erwartungsvoll an. »Und diese süße Maus muss dann ja wohl Sam sein.«
»Jupp.«
»Freut mich. Sie ist eine wahre Augenweide. Darf ich?« Larry streckte seine Arme nach Sam aus, wie es jeder Großvater tun würde. Da ich nicht wusste, was ich sonst tun könnte, drückte ich sie ihm in die Arme. Er hob sie hoch und legte sie sich an seine Schulter, genau so, wie sie es gern mochte.
»Setz dich doch«, forderte er mich auf und rutschte an das eine Ende der Bank. Ich sah mich kurz um, ob da vielleicht nocheine Bank in der Nähe stand, aber es gab nur die eine. Deshalb setzte ich mich ans andere Ende. Zwischen uns war nicht mehr viel Platz.
»Wie geht es Claire heute?«, eröffnete er das Gespräch.
»Sie gibt sich ganz stark«, sagte ich. »Aber mal sehen, wie sie nach der OP beieinander ist. Dann steht die
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