Toechter Aus Shanghai
in einem neuen Haus, doch statt einen kleinen Sohn zu verhätscheln, muss ich Vern pflegen. Ich bin furchtbar müde und ausgelaugt. Ich habe ständig Angst. Ich brauche Hilfe. Ich brauche jemanden, der mir zuhört.
Am nächsten Sonntag gehe ich mit Joy zur Kirche, so wie immer. Während ich dem Geistlichen lausche, muss ich daran denken, wie Gott in mein Leben trat. Ich war noch ein kleines Mädchen, als ein schwarz gekleideter lo fan -Mann mich draußen auf der Straße vor unserem Haus in Shanghai ansprach. Er wollte mir für zwei Kupfermünzen die Bibel verkaufen. Ich ging ins Haus und bat Mama um das Geld. Sie schob mich beiseite und sagte: »Sag diesem Kerl mit dem einen Gott, er soll besser seine Ahnen verehren. Davon wird er im Jenseits mehr haben.«
Ich ging wieder nach draußen, entschuldigte mich bei dem Missionar, dass er warten musste, und richtete ihm Mamas Nachricht aus. Daraufhin schenkte er mir die Bibel. Sie war mein erstes Buch, und ich war ganz aufgeregt, aber nachdem ich am Abend ins Bett gegangen war, warf Mama sie fort. Doch der Missionar gab mich nicht auf. Er lud mich in die Methodistenmission ein. »Komm einfach zum Spielen vorbei«, sagte er. Später schlug er mir vor, zur Missionsschule zu gehen, ebenfalls umsonst. So ein Angebot konnten Mama und Baba nicht ablehnen. Als May alt genug war, begleitete sie mich. Doch dieses Jesus-Denken setzte sich nicht in uns fest. Wir waren Reis-Christen, wir nahmen das Essen und nutzten den Unterricht der ausländischen
Teufel, aber ihre Worte und ihren Glauben ignorierten wir. Als wir Kalendermädchen wurden, starben die zarten Ranken des Christentums ab, die in uns gesprossen waren. Nach allem, was im Krieg mit China, Shanghai und meiner Heimat geschehen war, was mir und Mama in jener Hütte angetan wurde, wusste ich, dass es diesen einen Gott, der gütig und wohlwollend ist, nicht geben konnte.
Und jetzt haben wir all diese Prüfungen und Verluste erlitten, und der schlimmste war der Tod meines Sohnes. Alle chinesischen Kräuter, die ich einnahm, all meine Opfergaben, alle Traumdeutungen konnten ihn nicht retten, weil ich am falschen Ort Hilfe suchte. Als ich auf der harten Bank in der Kirche sitze, lächle ich in mich hinein bei dem Gedanken an den Missionar, den ich vor so vielen Jahren auf der Straße traf. Er sagte immer, die wahre Konversion komme unvermeidlich. Jetzt ist es so weit. Ich bete - nicht für Vater Louie, dessen an harter Arbeit reiches Leben sich dem Ende zuneigt, nicht für meinen Mann, der die Last der Familie mit seinem eisernen Fächer trägt, nicht für mein Kind im Jenseits, nicht für Vern, dessen Knochen vor meinen Augen zerfallen, sondern ich bete um meinen eigenen Seelenfrieden, ich bete, dass die schlimmen Dinge in meinem Leben einen Sinn ergeben und um den Glauben, all dieses Leid werde vielleicht irgendwann im Himmel belohnt.
SCHÖN FÜR IMMER
Ich gieße die Auberginen und Tomaten, dann ziehe ich den Schlauch zu den Gurkenpflanzen, die am Rankgitter neben dem Abfallverbrenner emporwachsen. Als ich fertig bin, rolle ich den Schlauch auf, ducke mich unter der Wäscheleine hindurch und gehe zurück zur Veranda. Es ist noch früh an diesem Sonntagmorgen im Sommer 1952, und es wird ein richtiger »scorcher« werden. Ich liebe dieses amerikanische Wort, »scorcher«, weil es so gut in diese wüstenartige Stadt passt. In Shanghai fühlte man sich immer, als würde man in der schwülen Luft zu Tode gedämpft.
Als wir in unser Haus einzogen, sagte ich zu Sam: »Ich möchte Gemüse anpflanzen, und ich möchte ein klein wenig von China hier haben.« Und so gruben Sam und zwei Onkel den Rasen um, wo ich einen Gemüsegarten anlegte. Ich erweckte die Chrysanthemen wieder zum Leben, die im vergangenen Herbst herrlich blühten, außerdem gedeihen die Geranienableger vor der Veranda prächtig. In den letzten beiden Jahren habe ich Töpfe mit Orchideen, einen Kumquatbaum und Azaleen dazugestellt. Ich habe es auch mit Pfingstrosen versucht - die am meisten geliebte chinesische Blume -, aber für sie wird es hier nicht kalt genug, um richtig zu wachsen. Auch meine Rhododendren sind eingegangen. Sam wünschte sich einen Bambus; jetzt müssen wir ihn immer wieder zurückschneiden und entdecken überall neue Triebe, wo wir sie nicht wollen.
Ich steige die Stufen zur verglasten Veranda hinauf und gehe hinein, werfe meine Schürze auf die Waschmaschine, streiche die Betten von May und Joy glatt und betrete die Küche. Sam und ich
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