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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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was wir nicht wissen.
    Wir sehen die Welt ganz ähnlich, wie es die Bauern auf dem Land jahrtausendelang getan haben. Sie sagten stets, die Berge sind hoch und der Kaiser ist weit weg. Das bedeutet, die Intrigen im Palast und die Bedrohungen des Reiches wirken sich nicht unmittelbar auf ihr Leben aus. Sie handelten immer so, als könnten sie tun und lassen, was sie wollten, ohne Angst vor Vergeltung
oder irgendwelchen Folgen haben zu müssen. In Shanghai gehen wir überdies davon aus, dass wir nie von etwas betroffen sind, was irgendwo anders in China vor sich geht. Immerhin ist der Rest des Landes groß und rückständig, und wir leben in einem Vertragshafen, der von Ausländern verwaltet wird, rein technisch gesehen gehören wir nicht einmal zu China. Außerdem glauben wir in unserem tiefsten Innern, dass unsere Armee die Japaner vertreiben würde, falls sie Shanghai erreichen sollten, genau wie schon vor fünf Jahren. Aber Generalissimus Chiang Kai-shek hat andere Vorstellungen. Er möchte, dass der Kampf gegen die Japaner am Delta stattfindet, wo er Nationalstolz und Widerstand schüren und gleichzeitig die Abneigung gegen die Kommunisten festigen kann, die einen Bürgerkrieg anzetteln wollen.
    Wir haben natürlich nicht die geringste Ahnung davon, als wir über die Waibaidu-Brücke in die Internationale Siedlung hineingehen. Die Flüchtlinge setzen ihre Lasten ab, legen sich auf die Gehsteige, sitzen auf den Stufen der großen Banken und drängen sich auf den Kais. Schaulustige versammeln sich, um zuzusehen, wie unsere Flugzeuge versuchen, die Idzumo , das japanische Flaggschiff, und die Zerstörer, Minensuchboote und Kreuzer darum herum mit Bomben zu treffen. Ausländische Geschäftsleute und Ladenbesucher weichen entschlossen allem aus, was auf dem Boden liegt, und ignorieren, was in der Luft vor sich geht, als würde so etwas jeden Tag passieren. Die Stimmung ist gleichzeitig verzweifelt, ausgelassen und gleichgültig. Wenn überhaupt, dann stellen die Bombardements eine Unterhaltung dar, denn die Internationale Siedlung wird - als britischer Hafen - nicht von den Japanern bedroht.
    Unser Fahrer hält an der Ecke der Nanking Road. Wir zahlen ihm den vereinbarten Preis und gesellen uns zu der Menschenmenge. Immer wenn ein Flugzeug über unsere Köpfe hinwegsaust, gibt es Applaus und Jubelrufe, aber als jede einzelne Bombe ihr Ziel verfehlt und harmlos in den Whangpoo fällt, schlägt die Stimmung in Buhrufe um. Irgendwie kommt es uns vor wie ein lustiges Spiel, das am Ende langweilig geworden ist.

    May und ich spazieren die Nanking Road entlang. Wir gehen den Flüchtlingen aus dem Weg und beäugen die Shanghaier und Shanghailänder, um zu sehen, wie sie gekleidet sind. Vor dem Cathay Hotel treffen wir Tommy Hu. Er trägt einen weißen Anzug mit Strohhut, der ihm schief auf dem Kopf sitzt. Er scheint sich sehr zu freuen, May zu sehen, und sie beginnt sofort zu flirten. Ob sie wohl verabredet waren?
    Ich lasse May und Tommy stehen und überquere die Straße. Sie stecken die Köpfe zusammen, ihre Hände berühren sich leicht. Ich bin direkt vor dem Palace Hotel, als ich hinter mir ein lautes Rat-a-tat höre. Ich weiß nicht, was das ist, ducke mich aber instinktiv. Um mich herum werfen sich die Leute zu Boden oder suchen in Hauseingängen Zuflucht. Ich drehe mich zum Bund um, über den in geringer Höhe ein silberfarbenes Flugzeug fliegt. Es ist eines der unseren. Ein japanisches Schiff eröffnet Flakfeuer. Zuerst sieht es so aus, als hätten die Zwergbanditen ihr Ziel verfehlt, und ein paar Zuschauer jubeln. Dann steigt eine Rauchspirale aus dem Flugzeug auf.
    Angeschlagen vom Flakfeuer, trudelt das Flugzeug auf die Nanking Road zu. Der Pilot muss wissen, dass er abstürzen wird, denn er löst plötzlich die beiden Bomben aus, die an den Tragflächen befestigt sind. Sie scheinen sehr langsam zu fallen. Erst pfeift es, dann gibt es einen scheußlichen Ruck, begleitet von einer enormen Detonation, als die erste Bombe vor dem Cathay Hotel landet. Mir wird weiß vor Augen, ich bin taub, und meine Lunge arbeitet nicht mehr, als hätte mein Körper durch die Explosion das Wissen verloren, wie er funktionieren soll. Eine Sekunde später fällt eine weitere Bombe durch das Dach des Palace Hotels und explodiert. Alles Mögliche - Glas, Papier, Menschenfleisch, Körperteile - regnet auf mich herab.
    Wenn man ein Bombardement erlebt, sollen angeblich die Sekunden der völligen Lähmung und Stille, die auf die erste

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