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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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bereits dunkle Lackpunkte auf die Augen aufgetragen, sodass sie dem Betrachter zu folgen scheinen, lockend und verführerisch. Was verkauft May? Watson’s Lotion gegen Hitzepickel, Jazz-Pomade, Two-Baby-Zigaretten? Ich weiß es nicht, aber als ich von meiner Schwester zu dem Bild schaue, fällt mir auf, dass Z. G. hua chin i tsai gelungen ist - ein vollendetes Bild, bei dem die Emotionen noch nachwirken - was nur die großen Meister der Vergangenheit in ihren Werken umsetzen konnten.
    Doch ich bin schockiert, zutiefst schockiert. Ich mag ja mit Sam getan haben, was Eheleute tun, aber das hier kommt mir viel intimer vor. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, wie tief May und ich gesunken sind, und wohl ein unvermeidlicher Teil unserer Reise. Als wir anfingen, für Maler Modell zu sitzen, sollten wir immer die Beine überschlagen und Blumen im Schoß halten. Diese Pose war eine Anspielung auf die Kurtisanen der Feudalzeit, denen stets Blumensträuße zwischen die Beinen gelegt wurden. Später sollten wir die Hände hinter dem Kopf verschränken und die Achseln zeigen, eine Pose, die seit den Anfangszeiten der Fotografie benutzt wird, um die Reize und die Sinnlichkeit von Shanghais »berühmten Blumen« einzufangen. Ein Künstler malte uns einmal beim Fangen von Schmetterlingen im Schatten von Weiden. Es ist allgemein bekannt, dass Schmetterlinge das Symbol für Liebespaare sind, während »Weidenschatten« ein Euphemismus für den behaarten Bereich ist, den Frauen da unten haben. Doch dieses neue Bild ist etwas ganz anderes und noch viel gewagter als das, auf dem wir zusammen Tango tanzen, worüber sich Mama so aufgeregt hat. Das hier ist ein schönes Bild; May muss stundenlang vor Z. G.s Augen nackt dagelegen haben.

    Aber ich bin nicht einfach nur schockiert. Ich bin auch enttäuscht von May, weil sie sich von Z. G. dazu hat überreden lassen. Ich bin wütend auf ihn, weil er sich ihre Verletzbarkeit zunutze gemacht hat. Und es tut mir im Herzen weh, dass May und ich das durchmachen müssen. Genau so kommt es dazu, dass Frauen auf der Straße landen und ihren Körper verkaufen. Andererseits ist die Situation für Frauen überall gleich. Wenn man einmal nicht auf sein Gewissen hört, sich nicht überlegt, wie weit man sich erniedrigen lässt, was man akzeptieren will, ist man schon ganz unten am Boden. Man ist ein Mädchen mit drei Löchern, die unterste Stufe der Prostituierten, lebt in einem der schwimmenden Bordelle auf dem Soochow Creek und hat Chinesen als Kunden, die so arm sind, dass es ihnen egal ist, ob sie sich eine widerwärtige Krankheit im Austausch dafür holen, ein paar Minuten lang das tun zu dürfen, was Eheleute tun.
    Obwohl ich enttäuscht und abgestoßen bin, kehre ich am nächsten Tag und am Tag danach zu Z. G. zurück. Wir brauchen das Geld. Und schon bald bin auch ich so gut wie nackt. Die Leute sagen, man muss stark und klug sein und Glück haben, um Zeiten der Not, Naturkatastrophen oder körperliche Qualen zu überleben. Aber ich behaupte, dass emotionaler Missbrauch - Angst, Furcht, Schuld und Entwürdigung - weitaus schwerer zu ertragen ist. May und ich erfahren so etwas zum ersten Mal, und es raubt uns all unsere Energie. Während ich kaum mehr schlafen kann, zieht sich May in die Tiefe der Apathie zurück. Sie schlummert bis Mittag. Immer wieder macht sie Nickerchen. Manchmal döst sie bei Z. G. ein, während er malt. Er erlaubt ihr, sich aus der Pose zu lösen, damit sie auf dem Sofa schlafen kann. Während er mich malt, sehe ich May an, deren Finger nur einen Teil des Gesichtes bedecken, das selbst im Schlaf nachdenklich wirkt.
    Wir sind wie Hummer, die in einem Topf Wasser langsam zu Tode gekocht werden. Wir sitzen Z. G. Modell, gehen auf Partys und trinken Absinthfrappé. Wir amüsieren uns mit Betsy in Clubs und lassen andere für uns bezahlen. Wir gehen ins Kino.
Wir machen Schaufensterbummel. Wir begreifen einfach nicht, was mit uns geschieht.
     
    Der Tag, an dem wir nach Hongkong abfahren sollen, um zu unseren Ehemännern zu stoßen, rückt näher. May und ich haben nicht die geringste Absicht, dieses Schiff zu besteigen. Selbst wenn wir wollten, könnten wir es nicht, weil ich die Billets weggeworfen habe, aber das wissen unsere Eltern nicht. May und ich tun so, als würden wir packen, damit sie keinen Verdacht schöpfen. Wir hören uns Mamas und Babas Ratschläge für die Reise an. Am Abend vor der vereinbarten Abfahrt gehen sie mit uns essen und versichern uns, wie sehr sie

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