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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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sollten etwas im Magen haben. Die Beerdigung...«
    Ich nehme das Geld und verlasse das Haus. Man hört den
Lärm der Schiffsgeschütze, die unsere Stellungen an Land beschießen, das unablässige Rattern der Maschinengewehre und Gewehrfeuer, Explosionen in Chapei und die Kampfgeräusche aus den Randgebieten. Die beißende Asche der Totenfeuer von gestern Nacht bedeckt die Stadt. Kleider, die zum Trocknen aufgehängt wurden, müssen noch einmal gewaschen werden, Treppen müssen neu gefegt, Autos abgespritzt werden. Der Geschmack im Mund bringt mich zum Würgen. Unmengen von Menschen bevölkern die Straße. Es mag ja Krieg herrschen, aber wir alle haben etwas zu tun. Ich gehe zur Ecke, doch statt Mamas Auftrag zu erledigen, besteige ich einen Schubkarren, der mich zu Z. G.s Wohnung bringen soll. Ich habe mich zuvor vielleicht wie ein kleines Mädchen benommen, aber das war nur ein kurzer Augenblick in einer langjährigen Freundschaft. Z. G. muss für May und mich zumindest eine gewisse Zuneigung empfinden. Bestimmt wird er uns helfen, einen Weg zu finden, um unser Leben wieder in den Griff zu bekommen.
    Ich klopfe an seine Tür. Als niemand öffnet, gehe ich wieder nach unten und treffe seine Vermieterin im Hof.
    »Der ist weg«, sagt sie. »Aber was kümmert Sie das? Die Zeiten der Kalendermädchen sind vorbei. Glauben Sie denn, wir können die Affenmenschen für immer zurückhalten? Sobald die hier einmal an der Macht sind, will kein Mensch mehr Ihre Kalender haben.« Sie wird immer hysterischer. »Diese Affen könnten euch jedoch gut und gerne für etwas anderes gebrauchen. Ist es das, was Sie für sich und Ihre Schwester wollen?«
    »Sagen Sie mir doch einfach, wo er ist«, bitte ich sie erschöpft.
    »Er wollte sich den Kommunisten anschließen«, blafft sie, und jede Silbe kommt herausgeschossen wie eine Kugel.
    »Er würde niemals gehen, ohne sich zu verabschieden«, widerspreche ich zweifelnd.
    Die alte Frau gackert. »Sie dummes Ding! Er ist weg, ohne seine Miete zu bezahlen. Er hat seine Farben und Pinsel dagelassen. Er ist weg, ohne irgendetwas mitzunehmen.«

    Ich beiße mir auf die Lippe, um nicht zu weinen. Jetzt muss ich mich auf mein eigenes Überleben konzentrieren.
    Da ich nicht zu viel Geld ausgeben will, lasse ich mich wieder von einem Schubkarren nach Hause bringen, diesmal zusammen mit drei weiteren Passagieren. Während wir über die Straße holpern, erstelle ich im Geiste eine Liste von Leuten, die uns helfen könnten. Die Männer, mit denen wir tanzen gehen? Betsy? Einer der anderen Maler, für die wir sitzen? Aber alle haben ihre eigenen Sorgen.
    Als ich zurückkomme, ist das Haus leer. Ich war so lange fort, dass ich Tommys Beerdigung verpasst habe.
    May und Mama kommen ein paar Stunden später nach Hause. Beide tragen weiße Trauerkleidung. Mays Augen sind vom Weinen geschwollen wie überreife Pfirsiche, und Mama sieht alt und müde aus, aber sie fragen nicht, wo ich gewesen bin und warum ich nicht bei der Gedenkfeier war. Baba ist nicht bei ihnen. Er muss mit den anderen Vätern beim Leichenschmaus geblieben sein.
    »Wie war es?«, frage ich.
    May zuckt mit den Schultern, und ich dringe nicht weiter in sie. Sie lehnt sich gegen den Türrahmen, verschränkt die Arme und starrt auf ihre Füße. »Wir müssen noch einmal zum Hafen.«
    Ich will nicht nach draußen. Ich bin todtraurig wegen Z. G. Am liebsten würde ich May erzählen, dass er weg ist, aber wozu wäre das gut? Ich bin völlig verzweifelt darüber, was mit uns passiert. Ich will gerettet werden. Und wenn das nicht geht, dann will ich einfach wieder ins Bett, mich unter die Decke legen und weinen, bis ich keine Tränen mehr habe. Aber ich bin Mays ältere Schwester. Ich muss mich tapferer geben, als ich eigentlich bin. Ich muss dafür sorgen, dass wir gegen unser übles Schicksal ankämpfen. Ich hole tief Luft und stehe auf. »Gehen wir. Ich bin so weit.«
    Wir kehren zur Dollar Steamship Line zurück. Heute geht es
schneller voran mit der Schlange, und als wir vorne ankommen, begreifen wir auch, weshalb. Der Mann am Schalter kann nichts ausrichten. Wir zeigen ihm unsere Fahrkarten, aber vor lauter Erschöpfung ist er sowohl seiner Manieren wie seiner Laune verlustig gegangen.
    »Was soll ich denn damit anfangen?«, brüllt er mich an.
    »Können wir die hier gegen vier Billets nach Hongkong tauschen?«, frage ich. Ich bin mir sicher, dass es ein lohnendes Geschäft für seine Firma wäre.
    Er antwortet nicht. Stattdessen winkt er

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