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Toechter der Dunkelheit

Toechter der Dunkelheit

Titel: Toechter der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Balzer
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ihr zurückwich, den Blick zu Boden gesenkt, wie sie hastig ihre Wunden bedeckten, sagte Inani viel über die Scham und den Schmerz, den sie eigentlich verstecken wollte.
    „Es geht nun mal nicht anders“, flüsterte Corin. Tränen liefen über ihre runden Wangen, die sie verstohlen wegwischte. Plötzlich drehte sie sich um und rannte los, aber Inani war schneller, sprang ihr leichtfüßig nach und versperrte ihr den Weg. Aus dem Nichts kam eine weiße Taube herbeigeflogen und setzte sich auf Corins Arm. Ihr sanftes Gurren zauberte ein Lächeln auf das Gesicht des
    Mädchens, doch das verschwand sofort, als sie wieder zu Inani aufblickte.
    „Corin!“ Hilflos vor Wut packte Inani ihren Kampfstab und schlug damit wie wild auf einen Baumstamm ein. Bei jedem Hieb stellte sie sich grimmig vor, es wäre Ylankas Körper, den sie hier traf, Ylanka, dieses grässliche Weib, das ihre eigene Tochter verprügelte. Corins Schluchzen holte Inani rasch aus ihrem Wutanfall heraus. Sie ließ den Stab fallen, und starrte auf Corin, die mittlerweile weinend auf dem Waldboden kauerte, die Hände fest gegen die Ohren gepresst.
    „Was ist los?“, flüsterte Inani erschrocken und zog sanft Corins Hände fort.
    „Bitte sei nicht wütend auf mich, bitte, hasse mich nicht! Lach mich aus, verachte mich, aber hasse mich nicht!“ Zitternd versuchte sie sich zu befreien, doch Inani hielt sie fest.
    „Ich verstehe nicht – Corin ... ich ...“ Instinktiv streckte sie ihre Gedanken aus, wie sie es mit ihren Vertrauten gewohnt war, wenn sie die fremdartigen Reaktionen der Tiere nicht verstand. Ein dunkles Meer von Gefühlen erwartete sie, Angst, wie Inani sie nicht einmal gespürt hatte, als sie selbst dem Tod nahe gewesen war. Die Dunkelheit, die alles verschlingende Verzweiflung in Corins Seele erschütterte sie, doch sie ließ nicht los, sondern tastete sich behutsam vor, und Corin verweigerte ihr nichts. Lange Zeit saßen sie still da, einander körperlich wie geistig fest umarmend. Die Taube wachte dabei still auf Corins Schulter, ohne sich von der Kyphra abschrecken zu lassen, die plötzlich auftauchte und ruhelos über Inanis Körper glitt, oder einen zweiten Blick auf die Leopardin zu verschwenden, die unvermittelt zwischen den Bäumen erschien und sich neben den Mädchen niederließ. Es gab Raubtiere in diesem Wald, die möglicherweise die Gelegenheit genutzt hätten, zwei Mädchen anzugreifen, die sich vollständig von dieser Welt abgewandt hatten. Doch mit ihren Seelenvertrauten als Wächter näherte sich ihnen
    niemand – nicht einmal der Rabe, der einen kurzen Blick riskierte, dann aber sofort wieder verschwand.
    Erinnerungsfetzen trieben auf Inani zu, Erinnerungen, die nicht ihr gehörten.
    „Du bist so ein nutzloses Stück Dreck!“ Ylankas Gesicht war von Zorn und Hass verzerrt, als sie den Lederriemen erhob. „Wie kann man sich Hexe schimpfen und so langsam sein? So unfähig? Du fettes Schwein, warum hast du die Prüfung überhaupt bestanden? Du bist keine Tochter Pyas, du taugst zu gar nichts!“ Die schrille Stimme schmerzte in den Ohren, ihre Verachtung schnitt tiefer als die Schläge, die sie auf Corins Körper niedergehen ließ.
    „Wie schwer kann es sein, einen Tee zu brauen? Du solltest einfach nur den Kessel auf den Herd stellen statt ihn fallen zu lassen! Wie schwer kann es sein? Du bist zu allem zu dämlich. Ich hasse den Tag, an dem man mich zwang, dich als Tochter anzunehmen! Ich hasse ihn! Alle bedauern mich, weil ich dich am Hals habe, du dummes Stück!“
    Inani ging fast verloren in dem eisigen, alles verzehrenden Schmerz, der Corin erfüllte. Diese Gewissheit, dass niemand auf dieser Welt sie liebte. Niemand. Außer ihrer Seelenvertrauten.
    Eine tiefe Wunde war dort, wo Corins erste Taube gelebt hatte. Diese Verletzung hatte begonnen zu heilen, zu vernarben, mit einem winzigen Funken Hoffnung und Dankbarkeit gegenüber Inani. Doch es war nicht schwer, den Wunsch zu sterben noch zu erspüren, der zu dem Verlust gehörte.
    Inani erschauderte, als sie die Angst verstand, die Corins Welt war: Wann immer jemand Wut zeigte oder laut schrie, war das für sie das Signal, dass sie schon wieder versagt hatte. Egal was geschah, alles war in ihrer Wahrnehmung ihr eigener Fehler. Ylanka hatte diese Gewissheit in ihre Tochter eingeprügelt: Corin trug die Schuld an allem, was schief ging. Sie glaubte daran es verdient zu haben, gleichgültig, was man ihr antat. Wer sie anschrie, hatte guten Grund dazu. Wut war das

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