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Töchter der Luft

Töchter der Luft

Titel: Töchter der Luft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
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eben Sorgen, das ist alles. Und Annette auch. Sie hat mir erzählt, du seiest ganz verstört vom Unterricht zurückgekommen. Also bin ich dich suchen gegangen, und hier bist du mm. Annette hat vollkommen recht.«
    »Warum, zum Teufel, kümmert ihr beide, Annette und du, euch nicht um eure eigenen Angelegenheiten?«
    »Jurgy. Komm, sei vernünftig. Wir sind fünf in Nummer 1412. Wir sitzen alle im selben Boot. Wir wollen alle diesen Kursus beenden, wir haben alle Angst, wir schaffen’s nicht. Wir haben dieselben Sorgen.«
    »Wir sitzen alle im selben Boot«, sagte Jurgy und lachte.
    »Stimmt das etwa nicht?«
    Sie ging ein paar Schritte weiter, fort vom Wasser, dann setzte sie sich hin im Schneidersitz und starrte zum Horizont.
    Ich setzte mich neben sie: »Jurgy. Ich sag’s offen, ich hab’ Angst. Ich weiß nicht, was eure Miß Pierce euch erzählt hat, aber unsere Miß Webley hat uns die Hölle heiß gemacht. Wir müssen einfach jeden Abend alle zusammen arbeiten. Ich meine, denk mal an diese Flughäfen und Abkürzungen — «
    »Ich mach mir keine Sorgen wegen Flughäfen und Abkürzungen.«
    »Nein?«
    »Nein.« Sie nahm eine Handvoll Sand und warf ihn in die Luft.
    »Aber worüber machst du dir dann Sorgen?«
    »Wir wollen gehen«, sagte sie schroff. Sie wollte aufstehen, ließ sich aber wieder zurückfallen. »Was hat das für einen Sinn, Carol? Es hat keinen Zweck, darüber zu sprechen. Man wird mich nach Hause schicken.«
    »O nein! Warum?«
    Ihr Gesicht war aschfahl. »Ich muß mich morgen mittag bei Mrs. Montgomery melden. Sie wird mich nach Hause schicken.«
    »Jesus«, sagte ich. »Jurgy, Liebling, warum?«
    Auf einmal sprudelten ihr die Worte von den Lippen. »Du hast’s gut, Carol. Man braucht dich nur anzusehen, und man weiß sofort, du hast ein Zuhause gehabt, hast Erziehung, Bildung. Und die Große, mit der du immer zusammen bist, Donna, bei der ist’s genauso. Annette war Sekretärin in einer Bank — tja. Ihr Vater ist da Vizedirektor. Weißt du, was mein Vater war? Nachtwächter. Wenn er überhaupt Arbeit hatte. Ein feiner Beruf, wie? Er war einfach ein ‘runtergekommener Trunkenbold. Und du weißt, was ich mein ganzes Leben lang gewesen bin, nicht wahr? Kellnerin. Ich hab’ Tabletts geschleppt.«
    »Liebling, glaub mir, kein Mensch kümmert sich im geringsten um das, was du warst oder was dein Vater war. Du bist hier. Wir stehen alle auf einer Stufe.«
    Ihre Worte überstürzten sich. »Sieh mal, Carol. Ich hab’s einfach nicht mehr ausgehalten in Buffalo. Ich hatte den Hals voll, bis oben hin. Ich bin ein menschliches Wesen. Ich hab’ ein Recht zu leben. Also hab’ ich’s versucht. Ich hab’ mich bei der Magna International Airlines beworben. Garrison kam nach Buffalo, und ich stellte mich bei ihm vor, und weißt du, was er sagte? Er sagte, Miß Jurgens, solche wie Sie suchen wir. Das sagte er — es war das erstemal, daß mir jemand eine Chance gab. Leben, das ist’s, was es für mich heißt. Leben.« Sie fing an zu weinen.
    Ich sagte: »Liebling, was ist denn heute schiefgegangen? Warum mußt du morgen zu Mrs. Montgomery kommen?«
    Sie wischte die Tränen ab. Ihre Stimme wurde wieder schroff. »Du warst heute morgen zur Untersuchung, nicht wahr? Die Ärztin, hat sie dich auch von oben bis unten untersucht?«
    »Oh, mein Gott, Jurgy, hat Dr. Schwartz irgend etwas gefunden, das nicht in Ordnung ist?«
    »Es ist alles in Ordnung. Nur, ich hab’ ein Kind gehabt.«
    Es war eine dieser unglaublichen Mitteilungen, denen gegenüber man fast sprachlos ist. Ich sagte: »Wann hattest du denn ein Kind?«
    »Oh, ich war damals ein großes Mädchen«, sagte Jurgy. »Ich war sechzehn.«
    »Oh, Jurgy.«
    »Es ist gestorben«, sagte Jurgy. »Ich durfte es nicht mal sehen. Und mein Freund hat mich sitzenlassen. Und ich hab’s nicht fertiggebracht, wieder zurück in die Schule zu gehen, und so hab’ ich meine erste Stellung angefangen, im Speisewagen.«
    »O Gott, Jurgy.«
    »Ist schon gut«, sagte sie. »In den Kreisen, aus denen ich bin, kommt so was immerzu vor.«
    Ich fragte: »Und wie hat Dr. Schwartz das herausgefunden?«
    Sie lachte bitter. »Du bist unschuldig, nicht wahr?« Sie zog den Rock ihres Sonnenanzugs hoch und zeigte mir die Innenseite ihrer Oberschenkel. Ich konnte nichts Besonderes bemerken, aber sie sagte: »Siehst du das?« Dann fuhr sie sich mit der Hand über die Brüste. »Und hier. Du wirst niemals mehr so wie vorher.«
    Sie vergrub beide Hände im Sand, als hätte sie sie

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